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Der Tag der roten Nase

Der Tag der roten Nase

Titel: Der Tag der roten Nase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikko Rimminen
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Küche röterte eine Eieruhr los und aus dem Wohnzimmer drang erneut ein Poltern und ein Knattern und ersticktes Fluchen, und obschon ich davon eigentlich hätte erschrecken müssen und mich fragen, ob der Mann da drüben vor sich hin wütete, wurden meine Wahrnehmungsinstrumente nun derart auf die Probe gestellt, dass mir die Konzentration schon wieder abhandenkam und ich ganz woandershin abdriftete, zuerst zum Ticken der Wurzelholzuhren und dann nach innen, zu dem trocken-zähen, herzartigen Angstkloß, der mir in der Kehle schwoll, und danach zum Herzen selbst, das von etwas Kaltem umspült zu werden schien, als wollte ein beschlussfassendes Organ es abkühlen, vor weiterem Entsetzen schützen und vor Angst und Trauer und sonstigem Gift; aber daraus wurde natürlich nichts, im Gegenteil, irgendwo hinter den Augen fingen die Tränen an hervorzusickern, dort stand es eher nicht so gut.
    Erst jetzt nahm ich das Gequassel, Geraschel und Getue im Treppenhaus wahr, quasi unmittelbar neben mir, und sobald ich die Aufmerksamkeit darauf gerichtet hatte, schrillte prompt die Klingel. Im selbem Moment sagte Irja jedoch: »Mach nicht auf, ich halt das nicht aus«, und wenn ich inmitten all der Kalamitäten mit etwas zufrieden war, dann damit, dass ich die Tür nicht aufmachen musste, mir reichte es auch so an Verwirrung und Wirrwarr, und so machte ich mich daran, uns weiter in die Wohnung hinein zu verlagern, ich hatte das Gefühl, von der Tür wegkommen zu müssen. Erst auf dem Weg in die Küchefand ich wieder richtig zu mir, wobei als eine Art Katalysator ein im Flur hängendes, Schauder erregendes Bild fungierte, das ich zuvor nicht einmal registriert hatte; einen gut zehn Jahre alten Jungen zeigte es, aber womöglich war dem Maler die Puste ausgegangen, denn der Blick des Flachskopfs war erschreckend leer und hohl geblieben, zu fragen traute ich mich natürlich nicht, aber die Folge von all dem war, dass mir nun wieder alles bewusst wurde, das Durcheinander, der Sohn und der Unfall, und wieder bedrängte ich Irja mit Fragen, was für ein Sohn, was für ein Unfall, was, was, und da blieb sie dann stehen, vor der Klotür, wo etwas aus roter Folie geknautschtes, dellenreiches Herzartiges hing, und erzählte.
    Er war so verlaufen, der Unfall, dass also das Auto voller junger Leute gewesen war, von einer Party waren sie gekommen, gegen Mitternacht, der Fahrer hatte eine Woche zuvor den Führerschein gemacht, es war eine Geschichte, wie man sie aus den Zeitungsspalten kannte, es war entsetzlich, beängstigend und irgendwie auch beschämend, weil man sich selbst so ganz, ganz klein fühlte, mit seinen eigenen kleinen Kurzmeldungen; aber diese Gedanken wurden von Irja unterbrochen, die wieder zu weinen begann, nachdem sie gesagt hatte, Kalle hätte nächste Woche selbst Fahrprüfung gehabt, ihr Kalle, bestimmt hätte er sie bestanden, sagte sie. Ich stimmte ihr zu, aber das Wesentliche hatte ich noch immer nicht erfahren, nämlich was mit Kalle passiert war, ob er um Himmels willen lebte, und so packte ich Irja an den Schultern und schüttelte sie und schrie ihr den Namen des Jungen ins Gesicht, Kalle, die Panik ist unmöglich zu beschreiben, wie sich plötzlich sämtliche Sorgen verknoteten und verfilzten, angefangen bei Kalle und den anderen jungen Leuten und natürlichbei Irja, bis hin zu meinem eigenen Sohn, der in gewisser Weise auch verschwunden war; in diesen einen kleinen Augenblick floss alles Unrecht, das jemals auf der Welt geschehen war, jede Besorgnis, jede Mühe, jeder Schmerz; und all das schrie ich heraus und schüttelte und malträtierte dabei noch die ohnehin schon angegriffene arme Frau.
    Nach allem zu schließen, schrie ich tatsächlich. Denn plötzlich kam hinter dem Wohnzimmertürrahmen eine runde behaarte Schulter zum Vorschein, eine Schulter, die wusste, was Arbeit war. Ich erschrak dadurch dermaßen, dass meiner Kehle nun wieder ein ganz neuer Laut entwich, ein aufsteigendes Jaulen. Irja schien nichts zu bemerken, aber ich registrierte, wie dem hervorgeschobenen Arm ein ärmelloses weißes Hemd und ein stoppeliger Männerkopf folgten, in dessen spärliches Fleisch zwei Augen eingelassen waren, hinter denen sich eine große Menge Tränen verdichtet hatte, im Namen des Fassungbewahrens zur Seite gewischte Tränenwellen, wie sie nur das Vatergeschlecht stauen kann.
    »Was ist denn jetzt?«, schnaubte der von einem zitternden Bart umgebene Mund im Türrahmen.
    Prompt ächzte mir der idiotische Gedanke durch

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