Der Tag der Traeume
dieses Liebesnest. Man munkelt, es wäre Chase gewesen, der hier als Erster die Chandler-Duftnote gesetzt hat.«
»Wirklich? Erzähl mir mehr davon.« Kendall konnte sich nicht vorstellen, dass der so ernst und gemessen wirkende Chase sich jemals in derartige Schwierigkeiten gebracht haben sollte. Aber obwohl ihr Ricks offenes, extrovertiertes Wesen mehr lag, konnte sie gut verstehen, dass sich auch viele Frauen von einem ruhigen, gesetzten Mann wie Chase angezogen fühlen mochten.
»Nun, Gerüchten zufolge wurde Chase, als er noch die Schule besuchte, mit einem Mädchen hier unter der Tribüne erwischt. Sie hatten den Unterricht geschwänzt, um … na, du weißt schon. Deswegen flog er dann von der Schule.«
Kendall brach in schallendes Gelächter aus. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst!«
Rick schüttelte den Kopf. »Das war Chase’ letzter Jugendstreich, danach musste er den frei gewordenen Posten des Familienoberhauptes übernehmen.«
»Und mutierte zu dem sittenstrengen Moralapostel von Bruder, den wir heute kennen und lieben«, fügte Roman todernst hinzu.
»Irgendwie muss sich doch auch dieser Mann einmal aus der Reserve locken lassen«, grübelte Charlotte laut.
Roman gab einen unwilligen Knurrlaut von sich. »Der einzige Chandler, den du je aus der Reserve locken wirst, bin ich. Und du machst dich jetzt vom Acker, Rick. Das geht nicht gegen dich, Kendall.«
»Schon gut«, wehrte sie lachend ab. Es gefiel ihr, wie besitzergreifend sich Roman gebärdete, wenn es um Charlotte ging. Sie hegte aufrichtige Bewunderung für Ricks Schwägerin, der es gelungen war, den unsteten Weltenbummler Roman an sich zu binden und die sich darauf verließ, dass er sie nie betrügen würde, so wie ihr Vater ihre Mutter betrogen hatte. Was Kendall zu der Frage führte, ob sie wohl jemals diesen entscheidenden Schritt wagen und einem anderen Menschen voll und ganz vertrauen würde.
Einem Mann.
Rick.
Sie war nahe daran, das wusste sie. Nahe daran, wirklich zu glauben, endlich das Glück und die Geborgenheit gefunden zu haben, um die sie andere immer beneidet hatte.
Dennoch blieben quälende Fragen offen. Würde sie die Furcht, verlassen und verraten zu werden, je ablegen können? Konnte sie die vielen Male, wo sie im Stich gelassen worden war, je vergessen? Immerhin hatte sie sich seit ihrer frühesten Jugend eingeredet, dass es für sie das Beste war, allein zu bleiben und ruhelos von einem Ort zum anderen zu ziehen.
»Lass uns verschwinden«, riss Rick sie aus ihren Gedanken, griff nach ihrer Hand und zog sie zum Fußballfeld hinüber. »Wir sprechen uns noch, kleiner Bruder.« Es fiel ihm sichtlich schwer, Roman das Feld überlassen zu müssen.
Zehn Minuten später hatten sie eine Decke aus dem Auto geholt und sich unter die Menge auf dem Rasen gemischt. Obwohl sie von Menschen umringt waren, kuschelte sich Kendall eng an Rick. Aus den Lautsprechern in den Ecken dröhnte Musik, und die Show begann mit einigen Dias aus der Gründerzeit von Yorkshire Falls.
Rick hatte Recht gehabt. Obwohl manche Bilder und die dazugehörigen Geschichten durchaus interessant waren, verfolgte kaum jemand die Vorführung. Alle genossen nur den Abend unter freiem Himmel und nutzten die Gelegenheit, den neuesten Klatsch auszutauschen. Dennoch konnte Kendall gut nachvollziehen, warum diese Show Traditionscharakter hatte, und sie war froh, dabei sein zu können.
Rick zog sie enger an sich, schlang die Arme um ihre Taille und vergrub das Gesicht in ihrem Haar. »Hast du das, was du vorhin gesagt hast, ernst gemeint?«, fragte er leise.
Es wäre ihm gegenüber nicht fair, so zu tun, als wüsste sie nicht, wovon er sprach – nicht, seit sie seine Vergangenheit kannte und um seine unterschwelligen Ängste wusste. Sie drehte sich um, sodass sie ihm ins Gesicht sehen konnte, und hielt seinem forschenden Blick tapfer stand. »Dass ich hier bleibe, meinst du?«
Er nickte, sagte aber nichts. Doch die Art, wie er sie ansah – voller Sehnsucht und Verlangen – jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Er wartete – typisch Rick – geduldig und verständnisvoll darauf, dass sie sich zu einer Antwort durchrang.
Und während er wartete, glitten seine Hände über ihren Rücken und gruben sich in ihr Haar, und diese Geste löschte ihre letzten Bedenken aus.
Zum ersten Mal war sie bereit, sich voll und ganz auf einen anderen Menschen einzulassen. »Rick, ich …«
Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Ehe du antwortest, möchte ich dir
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