Der Tag der Traeume
entgegenzubringen.
»Hannah hat mir erzählt, es hätte Probleme gegeben, aber sie hat mir auch versprochen, sich zu bessern.«
»Das hat sie aber nicht getan. Ich wollte mich mit Ihren Eltern in Verbindung setzen, konnte sie aber nicht erreichen, und für Notfälle hatten Sie ja Ihre Nummer hinterlassen. Sie sind Hannahs einzige in den Staaten lebende Verwandte. Ms. Sutton, ich behalte Ihre Schwester sozusagen nur noch auf Bewährung hier.«
»Akademische Bewährung?«
Mr. Vancouvers schnaubendes Lachen klang völlig humorlos. »Ihr Schulabschluss scheint momentan ihre geringste Sorge zu sein. Ganz offen gesagt, Ms. Sutton, Ihre Schwester stellt eine regelrechte Bedrohung für diese Schule dar. Sie hat die Toilette im Lehrerzimmer verstopft und dem Chorleiter bei einem Konzert das Toupet vom Kopf gerissen, als er sich verbeugte. Und das ist noch längst nicht alles.«
Kendall presste eine Hand fest gegen die Schläfe, um die aufkeimenden Kopfschmerzen zu lindern, und unterdrückte einen unwiderstehlichen Lachreiz.. Die Angelegenheit war alles andere als lustig. Hannahs Verhalten war genauso unerträglich wie Mr. Vancouvers überheblicher Tonfall. »Es tut mir Leid, Mr. Vancouver. Ich werde ihr noch heute gehörig den Kopf waschen.«
»Das will ich hoffen, sonst können Sie gleich herkommen und sie abholen. Ich kann ein solches Benehmen an meiner Schule nicht dulden.«
»Wo ist Hannah jetzt?«
»Sie hat Arrest. In einer Stunde darf sie wieder auf ihr Zimmer. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe ein wichtiges Gespräch auf der anderen Leitung. Guten Tag, Ms. Sutton.«
Ohne ein weiteres Wort legte er auf und überließ Kendall ihren Magenkrämpfen und dem dringenden Wunsch, ihrer Schwester den Hals umzudrehen. Hoffentlich hatte Hannah eine gute Erklärung dafür, warum sie scheinbar nichts unversucht ließ, um von der Schule zu fliegen.
Zehn frustrierende Minuten später hatte Kendall eine Nachricht auf Hannahs Mailbox hinterlassen und sie angewiesen, sofort zurückzurufen. Außerdem versuchte sie, über die Organisation, die ihrem Vater seine Expeditionen finanzierte, ihre Eltern zu erreichen. Ohne Erfolg. Seufzend blickte sie sich in der Küche um. Die abgeblätterte Farbe und die Flecken an den Wänden erschienen ihr plötzlich wie ein Symbol für all die Probleme, die sie zu bewältigen hatte. Probleme, die ihr allmählich über den Kopf zu wachsen drohten.
»Ich wünschte, ich wäre wenigstens nicht allein«, rief sie laut. Ihre Stimme hallte in dem leeren Haus wider, und sie schrak zusammen.
Der Wunsch, ihre Last mit jemandem zu teilen, traf sie völlig unvorbereitet, genau wie der Drang, Rick anzurufen, um einfach nur seine Stimme zu hören.
Nein. »Nein«, ermahnte sie sich laut. Zwar war ihm bekannt, dass sie das Haus verkaufen wollte und knapp bei Kasse war, aber er wusste nicht, wie schlimm die Dinge wirklich standen. Und das sollte er auch nie erfahren, aus demselben Grund, aus dem sie ihm auch nicht von den Schwierigkeiten zu erzählen gedachte, die Hannah ihr bereitete.
Sie vertraute ihm ihre persönlichen Probleme nicht an, weil sie sich nicht von ihm abhängig machen wollte. Es war allzu verlockend, all ihre Sorgen bei ihm abzuladen, aber sie hatte schon früh im Leben gelernt, sich einzig und allein auf sich selbst zu verlassen. Mit dieser Einstellung war sie immer ganz gut gefahren, warum also etwas daran ändern?
Wieder blickte sie sich im Raum um. Auch ohne einen Makler zu Rate gezogen zu haben wusste Kendall, dass sich der Preis für das Haus nur in die Höhe treiben ließ, wenn das gesamte Innere frisch gestrichen wurde. Rick hatte im Gästehaus schon einige Wände abgekratzt und abgeschmirgelt. Warum sollte sie nicht auf eigene Faust im Hauptgebäude anfangen? Sie war in ihrem Leben weiß Gott oft genug umgezogen, um einige Erfahrung im Tapezieren und Streichen zu haben.
Sie lief in ihr Schlafzimmer zurück, schlüpfte in ihr Arbeitszeug und inspizierte die Schäden im Flur. Ein paar Eimer weiße Farbe hatte sie bereits gekauft, und nun beschloss sie, sich zuerst den Bereich vorzunehmen, der einem potenziellen Käufer einen ersten positiven Eindruck vermitteln sollte. Von dort aus konnte sie sich dann in die einzelnen Zimmer vorarbeiten, sodass sie jedes Mal ein Erfolgserlebnis zu verzeichnen hatte, wenn sie zur Tür hereinkam. Außerdem würde die Arbeit ihr helfen, die Zeit totzuschlagen, und sie musste nicht ständig auf die Uhr sehen und darauf warten, dass Hannah
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