Der Tag der Traeume
Die beiden waren alte Freunde ihrer Tante, und sie genoss es, sie bei sich im Haus zu haben, aber ewig konnte es so nicht weitergehen. Bald würde der Tag herannahen, an dem sie Yorkshire Falls verlassen musste.
Da sie nicht über ihre bevorstehende Abreise nachgrübeln mochte, zwang sich Kendall, produktiv zu denken. Sie blickte auf die Uhr, dann versuchte sie noch ein Mal, ihre Schwester zu erreichen. Wieder ohne Erfolg. Entweder war sie nicht in ihrem Zimmer, oder das kleine Biest meldete sich absichtlich nicht, was die nahe liegendste Erklärung war. Abgesehen von dem kurzen Anruf gestern Abend hatte Hannah auf keine von Kendalls Millionen von Nachrichten reagiert.
Kendall rollte die Schultern, um sich ein wenig zu entspannen. Zumindest wusste sie, dass ihre Schwester in dem Internat gut aufgehoben war. Im Moment konnte sie für Hannah absolut nichts tun, dafür aber Einiges für sich selbst.
Rick war ihr den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie in Gedanken noch ein Mal die Nacht mit ihm durchlebte, und wenn sie dann wieder zu sich kam, stand sie in irgendeiner Ecke, einen Putzlappen in der Hand, und meinte, noch immer Ricks Lippen auf ihrer Haut zu spüren. Sogar jetzt noch erschauerte sie bei der Erinnerung daran, wie seine Hände über ihren nackten Körper geglitten waren, und sie konnte es kaum erwarten, diese Erfahrung zu wiederholen.
Seine Schicht ging bald zu Ende, und sie hatte ziemlich konkrete Vorstellungen davon, wie sie ihm nach einem langen Tag den Feierabend versüßen wollte. Nachdem sie rasch geduscht hatte, griff sie zum Telefon und rief Chase an, um ihm ein paar Insiderinformationen über Rick zu entlocken. Was aß er am liebsten? Welche Musik hörte er gerne? Mit Antworten bewaffnet fuhr sie schließlich zu seinem Apartment.
Wie sie gleich zu Anfang ihres Kennenlernens festgestellt hatte, zählte er zu den Menschen, die ihre eigenen Bedürfnisse stets hintenan stellten, um sich um andere zu kümmern. Heute wollte sie den Spieß umdrehen; heute Abend sollte er sich einmal umsorgen lassen.
Rick schleppte sich die Stufen zu seinem Apartment hinauf. Er war todmüde, ausgehungert und wusste nicht, wie er die Energie aufbringen sollte, in seinem Kühlschrank nach etwas Essbarem zu suchen. Normalerweise hätte er kurz bei Norman’s vorbeigeschaut, um einen Happen zu essen, aber dort war es immer voll und laut, und heute stand ihm der Sinn nicht nach belangloser Unterhaltung. Nicht nach dem Stress der letzten Tage. Er hatte eine Zehnstundenschicht hinter sich gebracht, die improvisierte Party bei Norman’s organisiert, die Nacht mit Kendall verbracht, um danach die nächste Zehnstundenschicht in Angriff zu nehmen, und nun war er vollkommen erledigt.
Voller Vorfreude auf einen ruhigen, friedlichen Abend schloss er die Tür zu seinem Apartment auf und warf die Schlüssel auf das Dielenschränkchen.
»Ein echtes Gewohnheitstier!«
Rick erkannte die Stimme sofort, und es störte ihn wenig, dass sich die Aussicht auf einen ruhigen Abend soeben in Luft aufgelöst hatte. »Kendall?«
»Höchstpersönlich«, klang es aus dem hinteren Teil der Wohnung.
Rick folgte der Stimme und sah sie auf einem der Barhocker an der Theke sitzen, die den offenen Küchen- vom Wohnbereich trennte. Sie trug enge weiße Leggings, ein schwarzes Tanktop, hielt ein Glas Wein in der Hand und lächelte ihn an.
Obwohl er noch ein paar Stunden zuvor gemeint hatte, ihm würden jeden Moment die Augen zufallen, fühlte er sich bei ihrem Anblick wieder hellwach. »Wie bist du denn hier hereingekommen?«
Sie lachte. »Der ewige Cop. Vergiss schön, dich zu sehen, Kendall, und nimm die Delinquentin gleich ins Verhör. Aber ich kann dich beruhigen. Ich habe mit Chase gesprochen und ihm erklärt, was ich vorhabe, und da hat er mir gestanden, dass er für Notfälle einen Schlüssel von dir hat. Er hat mich hereingelassen. Und da bin ich nun.« Sie breitete die Arme aus, als wolle sie das ganze Apartment umfassen.
Erst jetzt bemerkte Rick die Pizzaschachtel, die auf der Theke stand und einen köstlichen Duft nach italienischen Gewürzen verströmte. Sie hatte sich offensichtlich eine Menge Mühe gemacht, um ihn zu überraschen, und sein anfängliches Misstrauen verflog.
Er trat auf sie zu und stützte einen Ellbogen auf die Theke, sodass sich ihre Gesichter auf einer Höhe befanden. »Habe ich dir schon gesagt, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen?«
Sie schüttelte den Kopf und
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