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Der Tag der zuckersueßen Rache

Der Tag der zuckersueßen Rache

Titel: Der Tag der zuckersueßen Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaclyn Moriarty
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nicht mal, Zahnpasta auf meine Zahnbürste zu tun. Stattdessen starre ich eine halbe Stunde lang auf meine Fingernägel und komme dann wieder raus. Einmal bin ich sogar ohne Strümpfe in die Schule gegangen. Nur mit Schuhen an. Ich tat dann so, als sei es Absicht.
    Freitag, nachmittags, blauer Himmel
    Heute haben sich Em und Lyd wegen einer Geschichte gestritten, die Lyd für Englisch geschrieben hat. Mr Botherit las sie der Klasse vor und am Ende weinten so gut wie alle, weil sämtliche Figuren starben. Das macht Lyd immer so. In der Mittagspause sagte Em, Lydia hätte die beiden Hauptfiguren heiraten und in eine Villa am Meer ziehen lassen sollen. Aber Lydia meinte, das wäre unehrlich, weil sie sich spätestens nach einer Woche wieder scheiden lassen würden. Und das Haus würde kurz danach von einer Sturmflut weggespült werden. Em sagte, Lydia müsse einfach nur weiterschreiben, bis sich ihre Figuren wieder ineinander verliebten und sich zusammen eine Hütte in den Bergen bauten. Lyd sagte, das sei unmöglich, weil der Mann tot sei, in der Sturmflut ertrunken, und die Frau mittellos zurückgelassen habe usw. usw. usw. Claire kann das Wort »tot« nicht aussprechen.
    Sie sagt immer, wir hätten Dad verloren, was ich dumm finde, weil, wenn man etwas verliert, kann man es gewöhnlich wiederfinden, wenn man sich nur Mühe gibt und bei allen Fundbüros und Taxiunternehmen anruft. Es sei denn, jemand hat es gestohlen, aber dann hat man es nicht wirklich verloren.
    Sonntag, etwa um die Mittagszeit, etwas Sonne
    Manchmal, wenn Claire das Wort »verloren« verwendet, kommt es mir so vor, als wolle sie darauf hinweisen, dass wir uns nicht genug Mühe gegeben hätten. Als meine sie, wenn wir noch eine weitere Kräutermedizin versucht oder nur noch Zucchini gegessen hätten, hätten wir vielleicht ein Heilmittel für Dad finden können. Ich glaube das nicht wirklich. Und ich glaube eigentlich auch nicht wirklich, dass ich verrückt bin. Ich weiß, dass es normal ist, Sachen zu vergessen und abwesend zu sein. Das nennt man einfach nur: TRAUER . Und ich weiß definitiv, dass Dads Tod nicht unsere Schuld ist, und ich weiß, dass Claire das bestimmt nicht sagen will. Aber es ist viel leichter, verrückt oder wütend zu sein als weiterzuleben.
    Dienstag, leiser Regen
    Stell Dir vor, mein Dad wäre jetzt gerade unten in der Küche und würde zu mir hochrufen, ich soll zum Frühstück kommen. Hallo Tagebuch, es ist zwei Uhr morgens und weißt Du was? Das wäre wirklich eine seltsame Zeit zum Frühstücken. Willst Du noch was wissen? Ich hasse mich. Weil ich Lydia und Emily die ganze Zeit anlüge. Sie sind so lieb zu mir; zum Beispiel kamen sie neulich zum Abendessen zu uns und sind ganz lange geblieben und haben sich mit mir unterhalten, obwohl meine Mutter sie bestimmt zu Tode gelangweilt hat mit ihrem Vortrag über das Leben und ihre berufliche Zukunft und so.
    Und dabei wissen sie nicht mal, dass die ganze Sache mit Matthew Dunlop allein meine Schuld war. Weil ich ihm trotz allem immer wieder geschrieben habe. Also gut, überlegen wir mal, was ein NORMALER Mensch getan hätte, nachdem er diesen ersten Brief von Matthew Dunlop bekommen hätte. Ein normaler Mensch hätte gesagt: »Himmel, diese Brooker-Typen sind echte Psychopathen«, und den Brief einfach weggeworfen. Also, was habe ich mir nur dabei gedacht, Tagebuch? Jeden Tag versuche ich, mich zu überwinden, Lydia die Wahrheit zu sagen, und jedes Mal schaffe ich es wieder nicht, weil ich nicht will, dass sie weiß, dass ich verrückt bin.
    Dienstag nach der Schule, beim Spekulatiusknabbern
    Wenn ich hier in Dads Werkstatt sitze und schreibe, habe ich das Gefühl, ich sollte eigentlich nur von meinem Vater erzählen. Es ist wie damals, als ich wieder zur Schule ging und es mir seltsam vorkam, dass jemand über etwas anderes sprechen konnte als über meinen Dad. Zum Beispiel wollte ich in Englisch nicht über Miles Franklins My Brilliant Career diskutieren, sondern über die Lieblingsbücher meines Vaters. Und mich zusammen mit den anderen darüber aufregen, wie unfair es war, dass die Leukämie nach vier Jahren wieder zurückkehrte. Die Ärzte hatten gesagt, wenn der Krebs länger als fünf Jahre wegbliebe, würde er vermutlich nie mehr wiederkommen. Aber er hat es gerade noch geschafft, bevor die Frist ablief. Dann, nach einer Weile, wollte ich in der Schule gar nicht mehr über Dad sprechen. Ich wollte alle Gedanken an ihn in meinem Zimmer einsperren und in dieser

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