Der Tag der zuckersueßen Rache
o.k., jetzt reicht’s mit dem ständigen Angsthaben.
Und schrieb zurück.
Die ganze Zeit über dachte ich, dass es mit der Angst nun ein Ende haben würde, und schrieb ihm deshalb immer wieder, egal
was er sagte. Fast schien es, je unheimlicher er wurde, desto besser war es für mich, und jedes Mal, wenn er versuchte, mich dazu
zu bringen, ihn in Ruhe zu lassen, dachte ich, fast wütend: »O.k.,
Dad, willst du mal sehen, wie mutig und furchtlos ich sein kann?«
Ich schrieb einfach weiter und klang vermutlich wirklich wie eine
Verrückte.
Tja, das ist meine lange Theorie darüber, warum ich ihm schrieb.
Ich weiß nicht.
Vermutlich gibt es viele verschiedene Gründe, warum ich das tat.
Vermutlich gibt es viele verschiedene Gründe, warum mein Vater
krank wurde. Nicht nur deshalb, weil er sich manchmal fürchtete.
Sonntag, nachts
Heute waren wir im Studio von Lyds Mutter, weil sie uns eingeladen hatte, uns mal richtig toll schminken zu lassen. Wir sagten ihr natürlich nicht, dass wir ständig ohne sie dort herumlungern. Es gibt keinen Grund, warum sie das wissen sollte. Seltsam zu denken, dass Mrs Jaackson früher mal ein berühmter Star war und dass sie jetzt nur noch lange Satingewänder trägt und viel Lippenstift. Die meiste Zeit wirkt sie irgendwie abwesend. Lyd sagt, es sei entweder Altersdemenz oder Alkoholismus, aber ich denke, sie ist einfach nur verträumt. Jedenfalls, während Mrs Jaackson uns schminkte, diskutierten wir darüber, ob wir tatsächlich existieren; schließlich könnte un ser Leben ja auch nur der Traum von jemandem sein? Emily fand, es könnte durchaus ihr Traum sein. Und wir stritten darüber, ob die Farbe Blau tatsächlich blau ist. Da sagte Mrs Jaackson aus heiterem Himmel (der vermutlich blau ist, aber was ist blau eigentlich?), das Problem mit uns sei, dass wir alle Nasenpiercings bräuchten. Lydia und ich waren sofort dafür, aber Em flippte völlig aus, des halb gaben wir den Plan wieder auf. Stattdessen gingen wir in eine Bar, weil wir durch die Schminkkünste von Mrs Jaackson wie fünfundzwanzig aussahen. Ungelogen!
Sonntag, später in der Nacht, Regen
Wenn ich so darüber nachdenke, hat Lyds Mum in Wahrheit gesagt, dass wir alle vergessen haben, wer wir sind. Wir führten gerade eine philosophische Debatte darüber, welche Mutter wohl recht hatte, meine oder Emilys, und dann sagte Lydias Mutter, das Einzige, was zähle, sei, sich selbst treu zu bleiben. Ja, klar , dachte ich. Denn die Leute sagen ständig zu einem, man soll sich treu bleiben und immer authentisch sein, und dann denke ich immer: Schon klar. Denn wer bin ich denn? »Aber wer bin ich denn überhaupt?«, fragte Emily. Da sagte Lyds Mum, so hätte sie es nicht gemeint. Sie meine vielmehr, wir sollten nach der Wahrheit in uns lauschen. »Wenn ihr einen Gedanken habt«, sagte sie, »dann fragt euch, warum. Und fragt euch immer: ›Bist du sicher?‹ Zum Beispiel: ›Ich bin wütend.‹ – ›Warum?‹ – ›Weil er meinen Kuchen aufgegessen hat.‹ ›Bist du sicher, dass du deswegen wütend bist?‹ – ›Na gut, weil er oft meinen Kuchen aufisst.‹ – ›Bist du sicher?‹ «
»Mum«, sagte Lydia, »wovon redest du?«
Aber Mrs Jaackson lachte nur und tuschte Ems Wimpern. Dann
gab sie uns allen einen Kuss auf den Kopf.
Sie sagte, wir würden die Lösung finden, wenn wir loszögen und
uns silberne Nasenpiercings besorgten.
Montag, drei Uhr morgens, kann nicht schlafen Bin ich wütend?
Ja.
Warum?
Weil die Leukämie zurückkam.
Bist du sicher, dass du deswegen wütend bist?
Und weil Dad nicht hart genug dagegen kämpfte.
Bist du sicher?
O.k., weil Dad nicht stark genug war, um dagegen zu kämpfen.
Bist du sicher?
Nein. Er war nicht schwach. Er hatte einfach nur Angst.
Bist du sicher?
Na gut, das ist der Punkt: Was, wenn ich das geerbt habe? Das Angsthaben?
Bist du sicher?
Sodass ich niemals tapfer sein kann. Sodass er niemals stolz sein kann auf mich.
Bist du sicher?
Was meinst du damit, bin ich sicher?
Bist du sicher?
Sagst du eigentlich auch mal was anderes?
Freitag, später Nachmittag, dunkelblauer Himmel
Ich dachte, ich sollte Dich mal in die neuesten Neuigkeiten einweihen, die da lauten, dass Lydia und Emily beide gebrochene Herzen haben.
Man weiß nie, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln, was? In der einen Minute überlegen sie noch, wie sie Seb und Charlie zum Schulfest einschleusen können (obwohl es uns nicht erlaubt ist, Jungs von anderen Schulen
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