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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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keine Angst.
    Sie trifft Anstalten, wegzugehen. Mich im Stich zu lassen.
    Ich brülle: ›Mama. Das Blut . . . Das Blut . . .‹
    Sie dreht sich um. Wirft mir einen strengen Blick zu. Sie bringt mich noch um.
    Sie verlässt den heißesten Raum. Sie hat sich entfernt. Ich höre sie mit einer anderen Stimme lachend sagen: ›Ich bin nicht deine Mutter. Ich bin Hadda. Mal Wahrsagerin, mal Hexe. Ich bin nicht deine Mutter. Ich habe weder ihre Haut noch ihren Atem. Und komme von woanders her. Ich gehe. Ich fliehe. Ich auch.‹
    Ich sehe deine Mutter. Sie heißt Hadda.
    Mein Blut fließt noch immer. Ich friere. Es gibt noch immer kein heißes Wasser. Ich bin im Hamam für Frauen. Ich lächle. Wem lächle ich zu? Dir? Mir?
    Ich sehe dich. Du bist nicht ich. Du bist nicht tot. Im Dunkel des Hamams rieche ich deinen Geruch. Er nähert sich. Er kommt. Du hast dich seit mehreren Tagen nicht gewaschen. Eine Woche? Zwei Wochen? Was soll's. Dein herber Geruch ist nicht unangenehm. Du kommst immer näher. Ich warte auf dich. Ich stehe auf. Ich mache die Augen auf: Du bist es! Du ähnelst mir nicht. Aber ich liebe dich. Ich finde zurück zu mir. Mein Vorname von früher ist wieder meiner, nur auf andere Art: Du hast in ihm deine Spur hinterlassen, deine Atmung, deine Herkunft. Das überrascht mich. Das stört mich nicht. Ich nehme ihn in mir auf.
    In diesem Hamam, in den wir sonst nie gehen, wäschst du mich. Du schrubbst mich. Du reinigst mich, verwandelst mich. Du kümmerst dich um mich. Du nimmst dich meiner an. Du stützt mich.
    Das heiße Wasser kommt. Der Dampf ist da. Die Schwaden sind da.
    Du bist da, Omar.
    Ich schließe die Augen.
    Ich murmle: ›Verzeih! Verzeih! Ich habe dich enttäuscht. Ich habe dich verraten. Ich hätte dir sagen sollen, dass ich bald vom König empfangen werde. Verzeih . . . Verzeih . . .
    Hast du gehört?‹«
    Â 
    Khalid war wieder Khalid. Nach und nach. Ohne die Augen zu öffnen. Nackt wie ich. Nicht wie ich splitternackt.
    Und da fiel er mir auf, da wurde er mir wirklich klar: der Unterschied zwischen uns. Der Unterschied, selbst in unserer Nacktheit. Der in unsere Haut eingeschriebene Unterschied.
    Khalids Haut war natürlich schöner. Und natürlich weiß. Zart, das wusste ich. Woher kam sie, diese Haut? Von wel
cher Reise? Aus welchem Teil der Welt? Inwieweit war sie marokkanisch, muslimisch? Liebte die Sonne sie? Wo war ihr Ursprung?
    Ich schlug als Erster die Augen auf. Gelassen, erleichtert, zu mir zurückzufinden. Eine Zeit lang bestaunte ich die Welt jenseits der Straße, den dunklen Wald, dahinter die noch kräftige Sonne, die Stille in der Ferne, nachdem der Festzug von Hassan II . vorüber war, Khalid nackt, ich nackt, irgendwo in der Nähe der Felswand.
    Ich sagte: »Khalid, Khalid, komm zurück, komm zurück. Die Welt ist glücklich!«
    Glücklich? Dachte ich das wirklich?
    Er öffnete das rechte Auge. Dann das linke Auge. Und er antwortete: »Bin ich es? Khalid?«
    Ich beruhigte ihn: »Ja, ja, du, Khalid.«
    Er hatte Angst: »Ganz und gar ich?«
    Ich konnte diese Frage nicht an seiner Stelle beantworten. Aber wenigstens beruhigte ich ihn: »Ich kann es bezeugen. Ja. Du bist es. Immer mehr du.«
    Da lächelte er: »Ich bin ich . . . aber in mir noch mit . . . einem Nachgeschmack von dir.«
    Dieses Lächeln war neu. Ich hatte Khalid zuvor noch nie so lächeln sehen.
    Dieses Lächeln stand ihm richtig gut, es gehörte ihm jedoch nicht. War es meines?
    Khalid war stärker behaart als ich, vor allem unter den Armen und auf den Beinen.
    Er begann als Erster. Ich gab ihm die kleine Schere und befahl ihm: »Schneide dir ein paar Härchen ab, die du auf dem Oberkörper, auf den Armen, den Beinen, unter der Achsel, rings um das Geschlecht, zwischen den Pobacken hast. Und ein paar Haare. Eine oder zwei Wimpern. Vergiss keinen Teil deines Körpers. Sei gewissenhaft. Lache nicht. Du musst daran glauben. Darauf hat Bouhaydoura besonders bestanden. Kein Spott. Keine unzüchtigen Worte. Sonst stellt sich der Schutz nicht ein. Die Heiligen und die Dschinns sind anspruchsvoll. Wenn sie in Zorn geraten, sind sie entsetzlich. Sei gewissenhaft, Khalid. Geh da rüber. Bleibe nackt. Verstecke dich und vollziehe das Ritual. Ich werde hier auf dich warten, neben dem gefällten Baum, genauso

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