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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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nackt.«
    Er entfernte sich. Ich sah ihm nach, wie er aus meinem Blickfeld verschwand. Der Wald nahm ihn mir für kurze Zeit weg.
    Bouhaydoura hatte mir geraten, dieses Ritual allein zu vollziehen.
    Normalerweise sind es die Mütter, die sich für ihre Söhne darum kümmern.
    Â»Aus der Entfernung werde ich deine Mutter sein, wie deine Mutter. Du wirst genau befolgen, was ich dich übermorgen, Freitag, am Nachmittag, nach dem Al-Asr-Gebet, zu tun geheißen habe. Sei pünktlich. Vergiss nicht, nach dem Gebet oder, besser noch, sobald der Aufruf zum Gebet beendet ist. Aus der Entfernung werde ich
das Nötige tun. Ich werde die Stimme und die Persönlichkeit deiner Mutter annehmen. Für dich. Ich werde deinen Vornamen dreimal sagen. Nicht öfter. Omar. Omar. Omar. Das wird die anderen zu dir führen, die Dschinns, die unsichtbaren Sinne, die Gebieter, unsere Gebieter. Sie werden sich über dich neigen, dich in deiner völligen Nacktheit betrachten und dir helfen, uneingeschränkten Schutz zu erhalten, einen Schutz, der ein Leben lang andauert. Kein einziger Fluch, nicht einmal der eines Juden, wird dich treffen, dir schaden, dich zerstören, deine Grenzen ausradieren können. Schneide dir Härchen ab. Lege sie in ein kleines weißes Taschentuch und verscharre sie, nach wie vor nackt, vergiss das nicht, mit fest geschlossenen Augen, an einem geheimen Ort. Selbst unter der Erde werden deine Härchen nie absterben, sie werden noch länger, sie wachsen noch weiter und begleiten dich stets, um dich bis zu deinem Tod zu beschützen. Hast du verstanden? Soll ich dir die notwendigen Schritte noch einmal sagen? Magst du Wälder?«
    Ich mag einen bestimmten Wald.
    Den, in dem wir uns befanden, Khalid und ich. Diesen Winkel des Waldes, in dem wir uns neu erfanden. Diesen auf dem Boden liegenden, noch immer lebenden Baum, neben dem ich auf meinen Freund wartete.
    Es wurde immer heißer. Doch die Blätter der Bäume milderten die Hitze. Das Säuseln der Blätter auf diesen riesenhaften, schönen und zugleich unheimlichen Bäumen leistete mir Gesellschaft. Ich war besänftigt. Indem ich mich auf Bouhaydoura besann, fand ich zurück zu mir. Ich sagte die Worte, die mir dieser Mann, dieser Prophet beigebracht hatte. Ich sagte sie für Khalid in mir auf. Wusste Bouhaydoura das? Billigte er diesen Regelverstoß? Ich hoffte es. Ich war mir sicher. Das Geheimnis, das die
ses Ritual erforderte, würde gewahrt werden: Das war die Hauptsache. Zu Khalid hatte ich nicht viel gesagt. Er hatte freudig akzeptiert, mich in dieser Mission zu begleiten. Er wusste nur das Wenige, das ich ihm preisgegeben hatte. »Tu es. Das geschieht zu deinem Wohl. Um ohne den Schmerz der anderen zu leben. Tu es für mich. Ich werde es für dich tun.«
    Bouhaydoura stand auf meiner Seite. Er würde Verständnis haben. Ich sagte weiterhin seine Worte.
    Ich wartete. In einer anderen Welt.
    Am Anfang einer anderen Welt.
    Khalid: Omar.
    Omar: Khalid.
    Von Anfang an neu beginnen: die Geschichte, die Liebe, die Bindung, das Blut.
    Gott hatte einen Namen: Bouhaydoura.
    Das Paradies war auf einmal in der Sphäre des Möglichen.
    Ich hatte die Augen noch immer geschlossen.
    Â 
    Ich verscharrte seine Härchen. Er verscharrte meine Härchen. Er sah mir dabei zu. Ich sah ihm dabei zu.
    Wir setzten unsere Reise im Wald von Aïn Houala fort. Ohne Ziel. Ohne Richtung. Von den Bäumen und den Geistern beschützt. Von der restlichen Welt abgeschirmt. Ein wieder vereintes Paar auf der Flucht.
    Ich war Khalid nicht mehr böse. Ich hatte seine Lüge, seinen Verrat vergessen. Unsere Unterschiede. Die Dunkelheit des Waldes und das eben von uns ausgeführte Ritual entfernten uns weit von Groll und Streitereien. In diesem Moment waren Hassan II ., die Angst und der Argwohn verschwunden.
    Khalid war kein Reicher mehr.
    Ich war kein Armer mehr.
    Wir waren alle beide anderswo, verbunden im gleichen Gefühl. Im Glück? Auf dem gleichen Teppich aus grünen und gelben Gräsern. Wir bestaunten den Himmel. Zwei Jungs in Unterhosen, die sich in Richtung ihres Schicksals aufmachten.
    Eine Felswand erwartete sie.
    Â»Omar?«
»Ja.«
    Â»Mir gefällt . . . Mir gefällt deine rote Unterhose.«
    Â»Und mir gefällt deine blaue Unterhose.«
    Â»Wie wär's, wenn wir unsere Unterhosen tauschen würden?«
    Â»Deine ist eine Reichenunterhose.«
    Â»Na

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