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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Vogt- stli
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so was zubringen kann, wenn man ein Kind ist.
    Einmal habe ich sogar Andreas dort getroffen, und obwohl er in der Schule immer ätzend zu mir war, haben wir an diesem Samstag ewig zusammen im Wald gespielt. Ich glaube, wir waren auf einer Expedition im Dschungel, wir haben uns vor Feinden versteckt, Waffen gebaut und waren völlig im Spiel versunken. Was in der Schule passierte, wurde mit keinem Wort erwähnt. Aber am Montag machte er mich dann wieder fertig. Und ich fand das noch nicht mal seltsam. So war das eben.
    Der Boden ist hart. Tiefe Fußspuren sind im Herbstmatsch festgefroren. Es wäre toll, wenn unter Wurzelwerk und Zweigen Ruinen aus alten Zeiten lägen. Wenn dort unter einer Moosschicht eine Art Tor in die Vergangenheit wäre. Vielleicht könnte ich eine Pfeilspitze in der Erde finden, wenn ich graben würde. Oder ein Dinosaurierskelett. Als ich klein war, habe ich oft nach Knochen gegraben. Habe alles gesammelt, was mir zueinanderzupassen schien, und gehofft, ich könnte einen Tyrannosaurus rekonstruieren, so einen, wie ich ihn im Naturkundemuseum gesehen hatte.
    Ich bin in einer merkwürdigen Stimmung. Ein bisschen aufgekratzt, ein bisschen nervös. Als wäre ein Panzer von mir abgefallen und alle Eindrücke wären intensiver.
    Ich folge dem Pfad einen kleinen Hügel hinauf. Und da entdecke ich ihn plötzlich. Er hat sich hingehockt. Es macht den Eindruck, als würde er in der Erde graben oder nach etwas suchen. Ich muss einen Bogen schlagen, um ihn von vorn zu sehen.
    Er scharrt mit einem kleinen Stock im Laub. Hat er seinen Schlüssel verloren?
    »Miez, Miez!«
    Er versucht, ein Kätzchen zu sich zu locken. Es linst unter einem Busch hervor. Tänzelt und hüpft. Duckt sich, um den Stock anzugreifen. Ein kleines, weiches, grau gesprenkeltes Fellbündel.
    Schlagartig schießen mir grausame Bilder durch den Kopf. Was hat Andreas mit dem winzigen, wehrlosen Kätzchen vor? Was mache ich, falls er anfängt, das Tier zu quälen? Wenn er ein Messer zieht und auf es einsticht? Oder es an einen Baum spießt?
    »So ein liebes Kätzchen.«
    Andreas hebt das Katzenbaby vorsichtig hoch und hält es dicht an seine kräftige Brust.
    »Kleine Miezekatze.«
    Eine ganze Weile geht das noch so, bis mir klar wird, dass Andreas nicht vorhat, irgendwelche Folterwerkzeuge aus dem Ärmel zu ziehen. Er glaubt, hier zwischen den Bäumen sieht ihn keiner. Wenn dem Kätzchen irgendeine Gefahr droht, dann die, totgeschmust zu werden.
    Andreas hebt das Fellbündel an sein Gesicht, reibt mit der Nase daran und saugt den Katzengeruch ein.
    Er schmust, schnalzt und schmiegt seine Wange ans Katzenköpfchen.
    Er säuselt dem Tier etwas vor, singt die Worte beinahe und verzichtet auf alle harten Konsonanten.
    Andreas spricht Babysprache mit dem Kätzchen!
    Das ist unfassbar. Ich kann nicht glauben, was sich da vor meinen Augen abspielt. Der böseste Mensch, den ich kenne, der Typ, der mich seit Jahren quält und sich alle Mühe gibt, mich plattzumachen, plaudert und schmust und streichelt und liebkost, als wäre er ein kleines Mädchen. Mir ist, als hätte sich ein Spalt zu einem Paralleluniversum geöffnet, und ich hocke hinter einem Baum und beobachte einen völlig anderen Andreas.
    Plötzlich habe ich einen Geistesblitz, eine Idee, die so gut ist, dass ich Angst habe, über meinem Kopf könnte eine Glühbirne aufleuchten. Ich hole, so leise ich kann, mein Handy hervor und schalte es auf Aufnahme. Ich muss den Arm aus meinem Versteck recken, um die Szene zu filmen. Das Risiko, von Andreas entdeckt zu werden, muss ich eingehen. Mein Arm zittert, vor Anstrengung und vor Aufregung. Aber ich glaube, ich kann diese unglaubliche Szene einfangen. Blöderweise habe ich vergessen, das Handy vorher auf stumm zu stellen, und ein kurzes SMS-Signal ertönt. Shit, das ist bestimmt meine Mum! Schnell ziehe ich den Arm zurück und stecke das Handy in die Tasche. Ich krieche rückwärts ins Gebüsch.
    »Ist da wer?«, fragt Andreas.
    Ich wage nicht, mich zu rühren. Ich mache sogar für einen Moment die Augen zu, so Vogel-Straußmäßig, als würde mich das unsichtbar machen. Aber meine Ohren sind gespitzt. Ich höre Zweige knacken. Schwere Schritte.
    Ich entscheide mich sofort. Sinnlos, hier zu sitzen und darauf zu warten, dass er mich findet, so schlecht versteckt hinter dem blöden Busch. Andreas ist stark, er wird aus mir herausprügeln, was ich da mache. Aber ist er auch schnell? Kaum. Ich zähle innerlich bis drei, springe auf und renne los,

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