Der Tag wird kommen
verbergen. Irgendwo hat auch er ein Geheimnis. Ich weiß erstaunlich wenig über den Typen, der mir das Leben seit Jahren zur Hölle macht. Am sinnvollsten ist es wohl, ihn auszuspionieren. Ich bin zwar nicht unbedingt ein Meister der Verkleidung, aber ich habe ein langes Training im Unsichtbarsein.
In der letzten Stunde gebe ich vor, wieder Kopfschmerzen zu haben, und Gunnar lässt mich nach Hause gehen. Es gefällt mir nicht, mit ihm sprechen zu müssen, aber im Moment ist die Situation zu meinem Vorteil. Mum hat ihm bestimmt erzählt, wie ich reagiert habe, als die Bombe geplatzt ist, deshalb würde ich jetzt mit fast allem durchkommen.
Ich sitze hinter dem Trafo-Häuschen und warte auf Andreas und seine Kumpel. Ich weiß, dass sie immer hier stehen und rauchen, bevor sie sich trennen und nach Hause gehen, oder wo immer sie die Zeit nach der Schule verbringen.
Da kommen sie. Alle Instinkte sagen mir, dass ich besser abhauen sollte. Schritte, Fußtritte, Fahrräder, die rollen und klappern. Die Stimmen werden lauter, aber ich laufe nicht weg. Ich hoffe nur, dass keiner von ihnen auf die Idee kommt, um die Ecke zu gucken.
Ich warte.
Versuche, kein Geräusch zu machen.
Ich will so viel Informationen wie möglich aufschnappen. Es ist Krieg, alles kann nützlich sein. Andreas weiß nichts von mir, er fürchtet mich nicht. Aber ich kann Dinge über ihn herausfinden. Vielleicht erfahre ich etwas, das mich zu einer Gefahr für ihn macht.
»Die ist so dermaßen nuttig, dass sie es nicht mal selbst merkt.«
Der Rauch ihrer Zigaretten zieht zu mir um die Ecke. Mich interessiert im Grunde nicht, über wen sie reden. Ich warte nur auf die brummige, dunkle Stimme von Andreas. Obwohl ich ihn nicht hören kann, ahne ich, dass er da ist. Sie spielen sich vor ihm auf. Assi-Sprache. Fußtritte. Rempeleien. Sie springen und hampeln herum wie junge Schafböcke, die dem alten Leithammel imponieren wollen. Nur der beteiligt sich nicht an dem Tanz, er lässt sie machen.
Solange mich keiner von ihnen bemerkt, ist alles gut. Ich wäre ein gefundenes Fressen für sie, so ganz allein. Wer weiß, was sie sich einfallen lassen würden, um bei Andreas Eindruck zu schinden.
»Ey, Andreas. Bist du weggetreten, oder was?«
Ich hatte also recht. Er ist da.
»Ey, Sofus. Kannst du mal einen Gang runterschalten? Du gehst mir auf ’n Sack.«
Andreas hat gesprochen. Ich kann Sofus nicht sehen, aber ich kann mir problemlos vorstellen, wie er sich krümmt. Irgendwer lacht herzlos. Aber Sofus hat Mumm. Oder er ist einfach nur blöd.
»Wieso, was hab ich gemacht?«
»Schnallst du’s nicht? Du bist so kindisch, dass es peinlich ist, mit dir gesehen zu werden.«
»Hääh?«
»Hast du Tomaten auf den Ohren? Jetzt komm mal runter, Mann!«
Ich glaube, das ist Herman, der mit der nasalen Quäkstimme. Er versucht, sich bei Andreas einzuschleimen. Unglaublich, wie sie den bewundern. Wie sie sich von ihm steuern lassen.
Sofus und Herman fetzen sich. Die Luft ist voller Rauch, Spott und Beleidigungen.
»Das ist mir zu blöd.« Andreas’ Stimme brummt durch das Gezoffe und es wird still.
Ich höre, wie seine Schritte näher kommen, und kann gerade noch erschrocken feststellen, dass er gleich um die Ecke biegen wird. Ich fürchte fast, dass er meinen Puls hören kann, denn im Augenblick klopft es ganz schön laut in der Schlagader an meiner Schläfe.
»Loser.«
Er kommt direkt auf mich zu. Ich halte die Luft an. Jetzt sieht er mich gleich, jetzt hat er mich gleich, jetzt wird er mich quälen, mit dem einzigen Ziel, mir möglichst große Schmerzen zuzufügen.
Aber anscheinend ist meine Unsichtbarkeit zurückgekehrt. Andreas bemerkt mich nicht. Er dreht den Kopf nicht in meine Richtung, sondern geht weiter Richtung Wald.
Seine Kumpel sind verwirrt. Ich nehme an, sie fühlen sich im Stich gelassen.
»Was ist denn mit dem los?«
Sie streiten sich noch ein bisschen, rauchen und lästern weiter über Leute aus der Schule. Jetzt, da Andreas weg ist und sie sich nicht mehr vor ihm produzieren können, ist die Luft raus. Sie interessieren mich nicht. Andreas ist der, über den ich Informationen sammeln will. Aber ich traue mich nicht, ihm nachzugehen, bevor sie weg sind. Zum Glück dauert es nicht lange, bis sie sich verziehen, doch Andreas ist nirgends mehr zu sehen.
Ich gehe in den Wald und schlage die Richtung ein, in die er wahrscheinlich verschwunden ist. Als ich klein war, habe ich den ganzen Wald erkundet. Merkwürdig, wie man Stunden mit
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