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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Vogt- stli
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mache die Beine lang und flitze den Weg zurück.
    Hoffentlich stolpere ich nicht, hoffentlich stolpere ich nicht, darf nicht stolpern, darf nicht stolpern, darf nicht stolpern. Ich habe fast gar keine Angst. Bin mir sicher, dass ich es schaffe. Ich bin schneller. Ich bin Marathon Man .
    Meine Beine fliegen über Wurzeln und Löcher im Waldboden, sie halten nicht an, als ich die Straße erreiche und scharf nach links abbiege. Mit dem Asphalt unter den Sohlen tragen sie mich noch schneller vorwärts. Ich renne mitten auf der Straße, weiche ein paar Autos aus, fast ohne an Tempo zu verlieren. Ich halte nicht an, bis ich unsere Haustür erreicht habe, reiße sie auf und lasse mich drinnen auf den Boden fallen. Ich habe Seitenstechen, schmecke Blut auf der Zunge. Kann gar nicht so schnell atmen, wie meine Lungen nach Luft schreien, und mein Herz hämmert, dass ich Angst habe, es platzt gleich. Lange habe ich mich nicht mehr so gut gefühlt.
    Ich habe Andreas auf Video. Andreas und sein süßes kleines Geheimnis. Das muss doch was wert sein. Ich kann ihn lächerlich machen. Kann es an irgendwelche Klassenkameraden schicken und zusehen, wie es auf dem Schulhof die Runde macht.
    Hat er mich erkannt? Er muss gesehen haben, dass jemand wegrennt, aber ich war so schnell, dass er nicht viel von mir mitgekriegt haben kann. Und selbst wenn. Ist vielleicht gar nicht schlecht, wenn er gesehen hat, dass ich es war. Wenn er weiß, dass ich sein Geheimnis kenne.
    Als ich mir den Film ansehe, bin ich nicht mehr so überzeugt, dass ich einen Trumpf in der Hand habe. Auch wenn man Andreas deutlich erkennen kann, ist er ziemlich weit weg. Am blödesten aber ist, dass das Mikro den Ton nicht eingefangen hat. Ohne Andreas’ Dutzi-dutzi-Gesäusel ist das Video nicht halb so peinlich für ihn. Er sieht dämlich aus, ja, aber ohne seine Babysprache bringt das nicht viel. Im Gegenteil. Manche Mädchen finden das bestimmt sogar süß.
    Ich seufze entmutigt. Ich brauche dieses Geheimnis. Was sollte ich sonst gegen Andreas verwenden? Ich werde wohl kaum die Chance haben, ihn dabei zu filmen, wie er in der Unterwäsche seiner Mutter vor dem Spiegel tanzt.
    Na ja, immerhin habe ich ihn auf Video. Und Andreas weiß nicht, dass ich keinen Ton dazu habe. Ihm muss klar sein, wie lächerlich er mit der Katze auf dem Arm aussieht. Er braucht nicht zu wissen, wie schlecht der Film ist, nur, dass es ihn gibt. Das müsste reichen, um ihn nervös zu machen.
    Ich überspiele das Video auf den PC und schneide ein paar Bilder heraus, auf denen Andreas besonders bescheuert aussieht. Auf einem drückt er das Katzenschnäuzchen gegen seine Nase, ein kleiner Nasenkuss. Auf einem anderen grinst er debil, als das Kätzchen den Kopf in seine Halsgrube schmiegt.
    Ich maile die Bilder über einen anonymen Absender an Andreas. »Ein Junge und sein Kätzchen. Ausschnitte aus dem Video.« Ich werde dieselbe Taktik einsetzen, wie er sie mir gegenüber benutzt. Langfristige Andeutungen, dass etwas passieren wird. Er wird schon sehen, dass ich zurückschlagen kann.
    Jetzt bin ich wieder bester Laune. Ich wünschte, ich hätte jemanden, mit dem ich meinen genialen Schachzug teilen kann. Ob ich es noch mal bei Fera versuchen soll?
    Liebe Fera,
    ich hoffe, dein Schweigen ist ein Zeichen dafür, dass du darüber nachdenkst, ob du mir verzeihen sollst. Es gibt noch so vieles, was ich dir über die Vergangenheit erzählen könnte. Und ich würde gern mehr über die Zukunft erfahren.
Zum Beispiel, ob in deiner Zeit irgendwas mit dem Mond passiert ist. Ich hoffe, dass ihn nicht irgendwelche Idioten bombardiert haben. Ich kann den Mond von meinem Fenster aus sehen, er ist voll, klar und groß und leuchtend. Als ich klein war, habe ich geglaubt, er würde mir folgen.
Vor einiger Zeit ist etwas Merkwürdiges passiert. Ich erkannte plötzlich, dass der Mond kugelförmig ist. Natürlich weiß ich, dass er nicht flach ist, aber da wurde mir auf einmal klar, dass er immer flach ausgesehen hat, wenn ich zu ihm hochschaute. Ich habe nie darüber nachgedacht, bis mir seine Wölbung aufgefallen ist. Da kann einem ganz schwindelig werden. Wie wenn man diese schwarz-weißen Zeichnungen betrachtet, bei denen das Motiv wechselt, je nachdem, worauf man den Blick konzentriert. Ich frage mich, wieso ich das vorher nie gesehen habe.
Wie es scheint, weißt du sehr genau, was du mit deinem Leben anfangen willst. Ich meine, du studierst ja bereits. Ist dir schon immer so klar gewesen, was du willst? Das

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