Der Talisman (German Edition)
hörten sich gespannt die Abenteuergeschichten an, die von Geschichtenerzählern sehr dramatisch vorgetragen wurden. Yasha hatte einen riesigen Spaß, ihnen zu lauschen, denn sie waren wirkliche Künstler.
Gleich nach
seiner Ankunft in
Agadez hatte der Junge sich neu eingekleidet, damit seine Reisegefährten ihn nicht erkennen konnten. Dass er die beiden in den folgenden Tagen nirgends entdecken konnte, beunruhigte ihn. Waren sie etwa nach Bilma weitergereist? Wenn ja, dann nur mit Kamelen, denn kein Pferd würde es schaffen, die lange Strecke durch die Ténéré-Wüste mit ihren riesigen Wanderdünen zu durchqueren. Nervös rief sich Yasha das Gespräch in Erinnerung, das er in Tamanrasset belauscht hatte. Abdul Khemir hatte zu seinen Männern gesagt: »Morgen, vor Sonnenaufgang, reitet ihr zu meinem Palast in Agadez. Dort wartet ihr auf die Karawane aus Bilma. Sorgt dafür, dass alles für meine Hochzeit vorbereitet wird!« Nein, dieser Plan konnte sich nicht geändert haben. Yasha musste sich in Geduld üben und den Stadtpalast der Familie Khemir im Auge behalten. Nachts bleiben die Kinder in Agadez sehr lange auf. Sie machen sich einen Spaß daraus, von Dach zu Dach zu springen. Die Lehmhäuser sind sehr nah aneinandergebaut und so ist das wirklich nicht schwer. Sehr bald tat Yasha es ihnen nach. Von den Dächern aus hatte er interessante Einblicke in das verborgene Agadez.
Schnell hatte
Yasha das
riesige Haus der Khemirs entdeckt. Es war ein prachtvoller Besitz. Die Lehmwände waren strahlend weiß gestrichen. Neben dem Hauptgebäude, das ein wenig wie eine Festung wirkte, gab es viele Nebengebäude, große Innenhöfe und weitläufige Stallungen. Überhaupt geschah viel in den Nächten in Agadez. Mit Schaudern stellte Yasha fest, dass die Khemirs tatsächlich Sklavenhändler waren, denn einige Male sah er, wie lange Reihen von erschöpften Menschen aneinandergekettet den Hof unter schwerer Bewachung verließen oder betraten.
Eines Abends, als Yasha sich wieder einmal auf dem Dach des Haupthauses herumtrieb, sah er den weißen Hengst mit der schwarzen, herzförmigen Blesse im Hof stehen. Zwei Männer rieben ihn trocken und striegelten ihn, bis sein Fell im Mondlicht wie Silber glänzte. Aha, der dicke Abdul Khemir war in seinem Palast eingetroffen. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis Panna mit der Karawane eintreffen würde. Zufrieden zog sich Yasha zurück.
Von nun an wartete er jeden Tag sehnsüchtig auf die Karawane aus Bilma. Eines Nachts bemerkte er in Khemirs Haus große Aufregung. Vorbereitungen wurden getroffen und Yasha hörte, dass die Riesenkarawane, die mit 500 Kamelen aus Bilma erwartet wurde, in den nächsten Tagen eintreffen sollte. »Sie bringen Salz«, erzählte ihm ein kleiner Junge. »Aber ich habe auch gehört, dass sie die schöne Frau mitbringen. Abdul Khemir will große Hochzeit halten. Und siehst du da unten den weißen Hengst? Er war das Zeichen für Abdul Khemir, dass er sie heiraten soll. Schau: Er hat an der Stirn eine Blesse in Form eines Herzens und der Hengst soll aus ihrem Land kommen. Armes Mädchen! Abdul Khemir ist ein grausamer Mann. Gleich wird er der Karawane entgegenreiten!« Dann verschwand der kleine Junge in der Dunkelheit.
Yasha überlegte,
wie er Panna
am besten in Sicherheit bringen könnte. Auf keinen Fall durfte sie in den Stadtpalast des Abdul Khemir gelangen. Dort wäre es für ihn unmöglich, sie zu befreien. Das Anwesen war zu gut bewacht. In Gedanken spielte Yasha verschiedene Möglichkeiten durch. Die beste Lösung war, der Karawane vor der Stadt aufzulauern und Panna mit einer List zu retten.
Vor dem Palast traf Yasha die zwei Boten wieder. Die beiden Männer rollten ängstlich mit den Augen und wollten schnell weitergehen, aber Yasha zeigte ihnen zwei Goldmünzen und sagte: »Kommt mit und tut, was ich euch sage! Dann gehören diese Münzen euch!« Nach einigem Hin und Her erklärten sich die Männer bereit, ihm zu folgen.
Zu dritt
ritten sie einen
Tagesmarsch aus der Stadt, in die Richtung, aus der die Karawane kommen musste. Sie lagerten auf der höchsten Düne, um Ausschau nach dem geringsten Sandwirbel aus Richtung Bilma zu halten. Dieser würde die Karawane ankündigen. Aber Tage vergingen und nichts passierte. Die Wüste flimmerte wie ein Spiegel. Bald fing Yasha an, Fata Morganas zu sehen. Er sah plötzlich Wasser und herrliche saftige und grüne Bäume, die sich im Wasser spiegelten. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen und
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