Der Talisman (German Edition)
völlig durcheinander. Wie konnten sie ihm das antun? Yasha litt furchtbar. Sogar die Suche nach seinen Eltern vergaß er über seinen Liebeskummer. Inzwischen machte sich sogar der immer optimistische Graf Gregorio ernsthafte Sorgen um seinen Freund. Aber nicht nur um ihn, sondern auch um Clara und Laszlo Dvorach. Wo blieben sie nur? Viel zu lange wartete Yasha hier in Budapest auf seine Eltern. Hatte der kleine Wasserträger aus Rondônia den Diamanten für sich behalten? Waren Clara und Laszlo in der schrecklichen Diamantmine gestorben? Nein, nein, daran wollte Graf Gregorio gar nicht denken.
An einem warmen Sommertag saßen Yasha und Graf Gregorio in seiner kleinen gemütlichen Gartenlaube und unterhielten sich. Plötzlich wurde die Stille durch das laute Knattern von Holzrädern und laute, fröhliche Rufe unterbrochen. »Pilori! Venez voir Pilori! Pilori! Venez voir Pilori!« Graf Gregorio sprang auf und eilte aufgeregt zum Gartenzaun: »Sie sind wieder da! Monsieur Pilori mit seinem Zirkus! Komm, Yasha! Sie kommen aus Frankreich. Die musst du sehen! Ach, freue ich mich!«
Auf einer großen Wiese bauten die Zirkusleute ihre Zelte auf. Seltsam gescheckte Pferde liefen frei herum. Eine Bärin mit Hut saß auf einem Riesenstuhl und spielte mit einem Ball. Fünf kleine, weiße Hunde mit rosa Röckchen sprangen über einen winzigen hellgrauen Esel mit gelb lackierten Hufen. Clowns, Seiltänzerinnen und ein Zwerg mit Frack und Zylinder übten ihre Nummern ein. Eine Weile beobachteten Yasha und Graf Gregorio das bunte Treiben. Plötzlich kam ein Mann von gewaltigem Wuchs auf die beiden Freunde zu. Er maß sicher über zwei Meter und trug einen riesigen weißen Schnurrbart, den er mit zwei lila Schleifchen an seinen Ohren festgebunden hatte. Unter buschigen Augenbrauen musterten seine dunkelbraunen Augen die beiden Freunde verschmitzt.
»Monsieur Pilori!«,
begrüßte ihn
Graf Gregorio. Monsieur Pilori lachte erfreut und küsste Graf Gregorio gleich dreimal: rechts, links, rechts. Er war eben Franzose! »Eine neue Nummer habe ich, mon ami! Da wirst du staunen, hahaha: ein Junge, der sich in einen Stein verwandeln kann. Was sagst du dazu? Es ist fantastique! Aber ich will nichts verraten. Kommt morgen in unsere Vorstellung!« Monsieur Pilori lachte, riss der Bärin den Hut vom Kopf und verschwand fröhlich damit wedelnd in seinem blauweiß gestreiften Wohnwagen. Erstaunt bemerkte Yasha die merkwürdige Wärme, die sein Talisman ausstrahlte. »Komisch«, dachte er, »was will mir der Talisman damit sagen?«
Am nächsten Tag besuchten Graf Gregorio und Yasha die Vorstellung. In dem großen Zirkuszelt roch es nach Tieren, frischen Sägespänen und Popcorn. Während sich das Zelt langsam mit Zuschauern füllte, machte ein Clown in der Manege Seifenblasen, die so groß waren, dass andere Clowns in diesen Blasen sitzen konnten und sich in kugelrunde Gestalten verwandelten. Dann wurde das Licht gedämpft und die Vorstellung begann. Monsieur Pilori kündigte die erste Nummer an. Ein Zwerg in Frack und Zylinder trat auf. Der Lichtkegel des Scheinwerfers verfolgte den kleinen Mann, als er geschickt auf eine hohe Leiter kletterte. Die Leiter stand mitten auf der Bühne, an nichts angelehnt! Als er die letzte Stufe erreichte, applaudierten die Zuschauer laut. Elegant verneigte sich der Zwerg, hob höflich seinen Zylinder und zwölf weiße Tauben flogen daraus hervor. Es war aufregend, farbenprächtig und fantastisch. Dann kündigte Monsieur Pilori den Jungen an, der sich in einen Stein verwandeln konnte.
»Liebes Publikum! Ich bitte um Aufmerksamkeit! Hier kommt Steju!«, rief er mit donnernder Stimme. Einen Moment lang hielten die Zuschauer den Atem an. Yasha bemerkte, dass der Talisman wieder ganz warm wurde. In der Manege wurde es dunkel und ein lauter Trommelwirbel ertönte. Dann schälte das Licht des Scheinwerfers einen zierlichen Jungen aus der Dunkelheit. Er war wohl 14 Jahre alt und trug einen silbernen Lendenschutz. Seine Haut war ziemlich dunkel und sein Haar kohlrabenschwarz. Das Gesicht konnte man nicht erkennen, denn Steju trug eine Silbermaske, um sich besser zu konzentrieren, erklärte Monsieur Pilori den Zuschauern. Die Aufführung dauerte genau sieben Minuten. Der Junge verbeugte sich, faltete seine Hände, spreizte leicht seine Beine und blieb regungslos stehen, ganz so, als wäre er schon versteinert. Dann geschah das Unglaubliche: Vor aller Augen verwandelte sich der Junge in einen Steinblock. Zuerst
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