Der Talisman (German Edition)
Abdul Khemirs hinaufgestiegen sind, hat man nie wieder gesehen. Allah sei mit dir!« Geräuschlos glitt die Wächterin davon in ihr unterirdisches Reich. Der Talisman glühte.
Ohne Probleme erreichte Yasha die Pforte von Zirla Vui. Der Eisenring quietschte leise, aber das Rauschen eines Wandbrunnens übertönte jedes Geräusch. Vor Yasha lag ein großer Raum, dessen Wände über und über mit farbigen Mosaiken verziert waren. Das Wasser des Brunnens floss über eine Vertiefung im Boden in ein Becken in der Mitte des Raumes. Auf einem Podest vor einer goldenen Nische thronte Abdul Khemir. Er schien allein zu sein. Leise schlich Yasha durch den Raum und versteckte sich hinter dem Wandbrunnen.
Vor Abdul Khemir lag auf einem Kissen ein grauer Stein. »Du spielst die verdammte Geige, bis der Stein zu Gold wird, oder du stirbst! Meine Geduld ist am Ende!«, brüllte der Sklavenhändler laut. Mit Entsetzen erkannte Yasha in der goldenen Nische Graf Gregorio. Die Geige war aus seiner Hand gefallen und er schwankte. Sein Freund wirkte wie ein Gespenst, abgemagert bis auf die Knochen, seine Hände blutig und wund. Aber am meisten erschreckten Yasha seine Augen, die ihn mit leerem, irrem Blick anstarrten und doch nicht sahen.
Yasha war ratlos.
»Wie kann ich
Graf Gregorio retten? Talisman, ach bitte, hilf doch!« Der Talisman glühte noch stärker und funkelte zornig, denn er hasste Abdul Khemir. Mit aller Kraft, die das steinerne Wesen aufbringen konnte, saugte der Talisman das Licht, das durch die schmalen Belüftungsschlitze an der Decke fiel, in sich auf. Wie ein Spiegel warf der Talisman es zurück und traf mit dem gebündelten Strahl eine grüne Mosaikscherbe. Und siehe da: Die Scherbe funkelte wie ein echter Smaragd! Nun wusste Yasha, was sich der Talisman ausgedacht hatte. Liebevoll lächelte der Junge auf ihn herunter und schlich sich vorsichtig hinter das Podest, auf dem Abdul Khemir saß.
»Talisman, jetzt bist du dran!«, hauchte Yasha leise. »Los!« Und der Talisman legte los. Er war genial! Das steinerne Wesen spiegelte das Gold der Nische auf dem grauen Stein wider. Der Stein sah jetzt aus wie ein Goldklumpen! Geblendet starrte Abdul Khemir sein Goldwunder an und schrie: »Ich wusste es doch! Ja! Ich, Abdul Khemir … bin der Schlaueste, der Mächtigste, der Größte!« Sicher hätte er sich selber geküsst, wenn er das gekonnt hätte. Der Sklavenhändler weinte, tobte und brüllte vor Freude. Angelockt von seinem Geschrei erschienen am anderen Ende des Saals seine Frauen. Begeistert watschelte der dicke Abdul Khemir auf sie zu und brüstete sich mit seinem Erfolg. Niemand achtete auf Graf Gregorio. Yasha raste zu ihm. Sein Freund war in sich zusammengesackt. Vorsichtig schüttelte Yasha ihn, aber er wachte nicht auf. Die Zeit drängte – nicht auszudenken, wenn Yasha bei seinem Befreiungsversuch entdeckt werden würde.
Hastig hob der Junge den federleichten Körper auf und eilte zur Pforte von Zirla Vui. Außer Atem raste er die Treppe hinunter, die in die Zisterne führte. An seinem Boot wartete, zu Yashas Überraschung, die Wächterin des versunkenen Palastes. Ihr Leuchten erhellte das unterirdische Gewölbe, als die kleine weiße Gestalt die beiden Freunde so schnell zum Ausgang ruderte, dass große Wellen an den Säulen hochzischten.
Zur selben Zeit in Zirla Vui sonnte sich Abdul Khemir in der Bewunderung seiner Frauen, die wie bunte Vögel um ihn herumflatterten und aufgeregt durcheinanderredeten. Der Goldklumpen in seiner Faust fühlte sich sehr gut an, ein Genuss. Abdul Khemir kam ein wunderbarer Gedanke. Er würde das Gold einer seiner Frauen zum Geschenk machen. Nur: Welche der vielen Schönheiten hatte diese kostbare Auszeichnung verdient?
Das helle Licht blendete Yasha, als er mit seinem Freund auf dem Arm den versunkenen Palast verließ. Es war nicht leicht, Graf Gregorio und die kleinen Geige gleichzeitig zu tragen. Mehrere Male entglitt Yasha der Geigenkasten. Jedes Mal musste er seinen Freund vorsichtig absetzen und sich zuerst die kleine Geige unter den Arm klemmen und dann seinen Freund wieder aufheben. Mit seiner Last auf dem Arm tauchte Yasha im dichten Getümmel des überdachten Basars unter. Hastig drängte er sich durch die Menschenmenge. Alle gafften Yasha neugierig an und dachten, er würde eine Puppe tragen.
Abdul Khemir
hatte seine Wahl
getroffen. In letzter Zeit hatte er seine erste Gemahlin sehr vernachlässigt. Darüber war sie furchtbar wütend. Auch jetzt flatterte
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