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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Wer hat je von einem Dorf namens Kalifornien gehört? Du willst uns wohl auf den Arm nehmen, Junge?« In der Region musste es zahlreiche Orte geben – Dörfer und ganze Landstriche –, von denen die Leute, die auf ihrem eigenen, eng begrenzten Raum lebten, noch nie gehört hatten. Keine Leitungsmasten. Keine Elektrizität. Keine Filme. Kein Kabelfernsehen, das ihnen zeigte, wie herrlich es sich in Malibu oder Sarasota lebte. Keine regionale Version von Ma Bell, die verkündete, dass ein Drei-Minuten-Gespräch ins Grenzland nach siebzehn Uhr nur $ 5.83 zuzüglich Steuern kostete, die Gebühren am Gotthämmer-Abend und anderen Feiertagen jedoch etwas höher wären. Sie leben unter dem Schleier des Geheimnisvollen, dachte er. Wenn man unter diesem Schleier lebt, dann bezweifelt man die Existenz eines Dorfes nicht, nur weil man noch nie davon gehört hat. Kalifornien klingt nicht unwahrscheinlicher als All-Hands.
    Sie bezweifelten sie nicht. Er erzählte ihnen, dass sein Vater im Vorjahr gestorben und dass seine Mutter sehr krank wäre (er dachte daran, hinzuzufügen, dass die Eintreiber der Königin mitten in der Nacht gekommen wären und ihren Esel geholt hätten, grinste dann aber und beschloss, diesen Teil der Geschichte lieber wegzulassen). Seine Mutter hatte ihm alles Geld gegeben, das sie erübrigen konnte (nur war das Wort, das in dieser merkwürdigen Sprache herauskam, nicht eigentlich Geld – es war etwas wie Stäbchen), und ihn in das Dorf Kalifornien geschickt, wo er bei seiner Tante Helen wohnen sollte.
    »Es sind harte Zeiten«, sagte Mrs. Henry und drückte den jetzt trockengelegten Jason fester an sich.
    »All-Hands liegt in der Nähe des Sommerpalastes, nicht wahr, Junge?« Es waren Henrys erste Worte, seit er Jack die Mitfahrt angeboten hatte.
    »Ja«, sagte Jack. »Gar nicht weit davon. Ich glaube …«
    »Du hast nicht gesagt, woran dein Vater gestorben ist.«
    Jetzt hatte er ihm den Kopf zugewendet. Sein Blick war streng und abschätzend, die frühere Freundlichkeit war daraus verschwunden; sie war vor seinen Augen erloschen wie eine Kerzenflamme im Wind. Ja, es gab tatsächlich Falltüren.
    »War er krank?« fragte Mrs. Henry. »Es gibt so viele Krankheiten heutzutage – Pocken, Pest –, es sind harte Zeiten.«
    Einen verrückten Augenblick dachte Jack daran, zu sagen: Nein, er war nicht krank, Mrs. Henry. Sehen Sie, er ging eines Samstags aus, um eine Arbeit zu erledigen, und ließ Mrs. Jerry und all die kleinen Jerrys – mich eingeschlossen – zu Hause zurück. Das war, als wir alle in einem Loch hinter der Scheuerleiste lebten und niemand irgendwo anders lebte. Und wissen Sie was? Er steckte seinen Schraubenzieher in ein Gewirr von Drähten, und Mrs. Feeny, die drüben im Haus von Richard Sloat arbeitet, sie hat gehört, wie Onkel Morgan am Telefon sagte, die ganze Elektrizität wäre herausgekommen, die ganze Elektrizität, und hätte ihn gegrillt, so stark gegrillt, dass ihm die Brille auf der Nase zerschmolz, nur dass Sie nicht wissen, was Brillen sind, weil Sie hier keine haben. Keine Brillen – keinen elektrischen Strom – kein Midnight Blue … keine Flugzeuge. Sehen Sie zu, dass es Ihnen nicht ergeht wie Mrs. Jerry, Mrs. Henry. Versuchen Sie nicht …
    »Egal, ob er krank war«, sagte der schnurrbärtige Farmer. »War er politisch?«
    Jack sah ihn an. Sein Mund mühte sich ab, aber es kamen keine Worte heraus. Es gab zu viele Falltüren.
    Henry nickte, als hätte er geantwortet. »Spring ab, Junge. Der Markt ist gleich hinter der nächsten Anhöhe. Ich nehme an, von hier aus schaffst du es zu Fuß, oder?«
    »Ja, das werde ich wohl schaffen«, sagte Jack.
    Mrs. Henry schaute verwirrt drein – aber jetzt hielt sie Jason von Jack fern, als hätte er womöglich eine ansteckende Krankheit.
    Der Farmer, der noch immer über die Schulter zurückblickte, lächelte ein wenig reumütig. »Tut mir leid. Du scheinst ein netter Junge zu sein, aber wir sind einfache Leute hier – was da unten am Meer vorgeht, müssen die großen Herren unter sich ausmachen. Entweder stirbt die Königin, oder sie stirbt nicht – eines Tages wird sie sterben. Gott hämmert all seine Nägel, früher oder später. Und wenn sich kleine Leute in die Angelegenheiten der großen einmischen, ziehen sie immer den kürzeren.«
    »Mein Vater …«
    »Ich will nicht wissen, was mit deinem Vater ist!« sagte Henry scharf. Seine Frau rückte weiter von Jack ab; sie hielt Jason noch immer an ihren Busen gedrückt. »Ob er

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