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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Sonnenuntergangs angenommen – aber jetzt mischte sich plötzlich Rot in diese Farben, so dass das Flüsschen nicht Wasser, sondern Blut zu führen schien. Dann färbte es sich schwarz. Einen Moment später war es durchsichtig geworden, und Jack sah …
    Ein leises Wimmern entfuhr ihm, als er Morgans Kutsche die Weststraße entlangjagen sah, gezogen von dreizehn schweißnassen Pferden mit schwarzen Federbüschen. Lähmendes Entsetzen ergriff ihn: der Kutscher, der hoch oben auf dem Bock thronte, die gestiefelten Füße auf dem Spritzbrett und eine unaufhörlich knallende Peitsche in der Hand, war Elroy. Aber es war keine Hand, die diese Peitsche hielt. Es war eine Klaue. Elroy lenkte diese Alptraum-Kutsche, ein grinsender Elroy mit einem Mund voll toter Reißzähne. Elroy, der es kaum abwarten konnte, Jack Sawyer wieder zu finden und Jack Sawyers Bauch aufzureißen und Jack Sawyers Eingeweide herauszuzerren.
    Jack kniete neben dem Flüsschen, mit hervorquellenden Augen und vor Bestürzung und Entsetzen zitterndem Mund. Er hatte noch etwas bemerkt in seiner Vision, keine große Sache, aber durch das, was aus ihr folgerte, das Erschreckendste von allem: die Augen der Pferde schienen zu glühen. Sie schienen zu glühen, weil Licht in sie fiel – das Licht des Sonnenuntergangs.
    Die Kutsche fuhr auf der gleichen Straße westwärts – und sie hatte es auf ihn abgesehen.
    Kriechend, weil er nicht sicher war, ob er sich auf den Beinen halten konnte, zog sich Jack von dem Flüsschen zurück. Dann taumelte er unbeholfen auf die Straße und fiel der Länge nach in den Staub. Speedys Flasche und der Spiegel, den ihm der Teppichhändler geschenkt hatte, bohrten sich in seinen Bauch. Er drehte den Kopf zur Seite und drückte die rechte Wange und das rechte Ohr fest auf die Oberfläche der Weststraße.
    Er spürte das stetige Rumpeln in der harten, trockenen Erde. Es war noch fern – aber es kam näher.
    Elroy auf dem Bock – und Morgan drinnen. Morgan Sloat? Morgan von Orris? Einerlei. Beide waren eins.
    Mit einiger Mühe gelang es ihm, sich der hypnotischen Wirkung des Rumpelns in der Erde zu entziehen. Er stand wieder auf, holte Speedys Flasche aus seinem Wams und zog von dem Moospfropfen in ihrem Hals heraus, so viel er konnte, ohne sich an den Krümeln zu stören, die in den kleinen Rest der Flüssigkeit fielen, der jetzt noch in der Flasche war – nur noch ein paar Zentimeter. Er blickte nervös nach links, als erwartete er, die schwarze Kutsche am Horizont auftauchen zu sehen und die Pferde mit ihrem vom Sonnenuntergang gefüllten Augen, die leuchteten wie Spuklaternen. Natürlich sah er nichts. Der Horizont war hier in der Region näher, das war ihm bereits aufgefallen, und Geräusche trugen weiter. Morgans Kutsche musste noch zwanzig Kilometer weiter östlich sein, vielleicht sogar dreißig.
    Dennoch viel zu nahe, dachte Jack und hob die Flasche an die Lippen. Kaum eine Sekunde, bevor er trank, schrie sein Verstand auf: He, warte eine Minute! Warte! Verdammter Idiot, bist du lebensmüde? Er würde ganz schön dumm aus der Wäsche gucken, wie er da mitten auf der Weststraße stand und dann in die andere Welt zurückflippte, mitten auf eine andere Straße, wo ihn der nächste Laster oder Sattelschlepper überrollen würde.
    Jack taumelte an den Straßenrand – und ging dann sicherheitshalber noch zehn oder zwanzig Schritte durch das hüfthohe Gras. Er holte ein letztes Mal tief Luft, atmete die süßen Düfte dieser Gegend ein, suchte nach diesem Gefühl heiterer Gelassenheit – dem Gefühl des Regenbogens.
    Ich muss versuchen, mir dieses Gefühl zu bewahren, dachte er. Ich werde es vielleicht brauchen – und vielleicht kann ich lange Zeit nicht hierher zurückkehren.
    Er ließ den Blick über das Grasland wandern, das sich jetzt von Osten her mit dem Dunkel der Nacht überzog. Der Wind wehte böig, kühl jetzt, aber noch immer voller Duft, spielte mit seinem Haar – das jetzt zottig zu werden begann –, wie er mit dem Gras spielte.
    Bist du soweit, Jacko?
    Jack schloss die Augen und wappnete sich gegen den grässlichen Geschmack und das Erbrechen, mit dem er darauf reagieren würde.
    »Banzai«, flüsterte er und trank.

 
Vierzehntes Kapitel
     
    Buddy Parkins
     
    1
     
    Er erbrach ein dünnes, purpurnes Rinnsal. Sein Gesicht hing nur wenige Zentimeter über dem Gras, das den langen Abhang neben einem vierspurigen Highway bedeckte. Er schüttelte den Kopf und kauerte sich kniend zusammen, so dass nur sein

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