Der Talisman
bekommen.«
»Sonnenlicht in die Seele?« fragte Jack, der glaubte, der Polizist hätte gesehen, wie er den Joint in den Mund steckte.
»Und außerdem ein paar Blasen an den Händen«, sagte der Polizist und warf einen vergnügten Blick auf Jacks schuldbewusstes Gesicht im Rückspiegel.
Das Gebäude der Stadtverwaltung von Cayuga war ein düsteres Labyrinth aus unbeleuchteten Korridoren und engen Treppen, die an ebenso engen Räumen vorbei unvermutet aufwärts zu führen schienen. Wasser gluckerte in den Rohren. »Eines will ich von vornherein klarstellen, Jungs«, sagte der Polizist, während er sie auf die letzte Treppe zu ihrer Rechten hinsteuerte. »Ihr seid nicht verhaftet. Ist das klar? Ihr seid lediglich zur Befragung in Gewahrsam genommen. Also kommt mir nicht mit irgendwelchem Scheiß über einen Anruf. Ihr hängt in der Luft, bis ihr uns gesagt habt, wer ihr seid und was ihr vorhabt. Habt ihr verstanden? Ihr hängt in der Luft. Wir gehen jetzt zu Richter Fairchild, der ist für euch zuständig, und wenn ihr nicht mit der Wahrheit herausrückt, habt ihr euch die Konsequenzen selbst zuzuschreiben. Hinauf mit euch! Ein bisschen dalli!«
Am Kopf der Treppe stieß der Polizist eine Tür auf. Eine schwarzgekleidete Frau in mittleren Jahren mit einer Drahtbrille blickte an der gegenüberliegenden Wand von einer Schreibmaschine auf. »Wieder zwei Ausreißer«, sagte der Polizist. »Sagen Sie ihm, dass wir da sind.«
Sie nickte, griff zum Telefon und sprach ein paar Worte. »Ihr könnt hineingehen«, sagte die Sekretärin zu ihnen, und ihre Augen wanderten von Wolf zu Jack und wieder zurück zu Wolf.
Der Polizist schob sie durch das Vorzimmer und öffnete die Tür zu einem doppelt so großen Raum, dessen eine Längswand mit Büchern bedeckt war; an der anderen hingen gerahmte Photos, Diplome und Urkunden. Vor den großen Fenstern waren die Jalousien heruntergelassen. Ein langer, dürrer Mann in dunklem Anzug, zerknittertem weißem Hemd und schmaler Krawatte erhob sich hinter einem ramponierten, an die zwei Meter breiten Schreibtisch. Das Gesicht des Mannes war eine Reliefkarte aus Runzeln, und sein Haar war so schwarz, dass es nur gefärbt sein konnte. Schaler Zigarettenrauch hing sichtbar in der Luft. »Was bringen Sie mir heute, Franky?« Seine Stimme war unvermutet tief, beinahe theatralisch.
»Jungen, die ich auf der French Lick Road aufgegriffen habe, nicht weit von Thompsons Farm.«
Richter Fairchilds Runzeln verzogen sich zu einem Lächeln, als er Jack ansah. »Hast du irgendwelche Ausweispapiere bei dir, Junge?«
»Nein, Sir«, sagte Jack.
»Hast du Officer Williams in allem die Wahrheit gesagt? Er scheint nicht den Eindruck gehabt zu haben, sonst wärt ihr nicht hier.«
»Ja, Sir«, sagte Jack.
»Dann lass deine Geschichte hören.« Er ging um seinen Schreibtisch herum, brachte die flachen, direkt über seinem Kopf hängenden Rauchschwaden in Bewegung und ließ sich, halb sitzend, halb lehnend, auf der Schreibtischecke nieder, die Jack am nächsten war. Dann zündete er sich eine Zigarette an – Jack sah, wie ihn die tiefliegenden, blassen Augen durch den Rauchschleier hindurch musterten, und erkannte, dass keine Nachsicht in ihnen lag.
Die Kannenpflanze war wieder da.
Jack tat einen tiefen Atemzug. »Mein Name ist Jack Parker. Er ist mein Cousin und wird auch Jack genannt. Jack Wolf. Aber in Wirklichkeit heißt er Philipp. Er hat bei uns in Daleville gewohnt, weil sein Vater tot ist und seine Mutter krank wurde. Ich bringe ihn nach Springfield zurück.«
»Er ist beschränkt, oder?«
»Ein bisschen schwerfällig«, sagte Jack und warf einen Blick auf Wolf. Sein Freund schien kaum bei Bewusstsein.
»Wie heißt deine Mutter?« fragte der Richter Wolf. Wolf reagierte in keiner Weise. Er hielt die Augen fest geschlossen und hatte die Hände in die Taschen gesteckt.
»Sie heißt Helen«, sagte Jack. »Helen Vaughan.«
Der Richter löste sich vom Schreibtisch und kam langsam auf Jack zu. »Hast du getrunken, Junge? Du bist nicht ganz sicher auf den Beinen.«
»Nein.«
Richter Fairchild stellte sich dicht vor Jack und beugte sich nieder. »Lass mich deinen Atem riechen.«
Jack öffnete den Mund und atmete aus.
»Nein. Kein Alkohol.« Der Richter richtete sich wieder auf. »Aber das ist das einzige, was der Wahrheit entspricht, stimmt’s? Du versuchst, mir einen Bären aufzubinden.«
»Es tut mir leid, dass wir getrampt sind«, sagte Jack, der wusste, dass er seine Worte jetzt sehr
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