Der Talisman
hinten«, kam es vom Fahrersitz.
Jack fühlte sich seltsam entspannt. Er war sicher, dass es ihnen irgendwie gelingen würde, zu entkommen. Er lehnte sich an den Kunststoffbezug des Sitzpolsters zurück und blickte auf die vorbeifliegenden Felder; seine Hand lag in der von Wolf.
»Da ist es«, rief ihnen Franky Williams vom Fahrersitz aus zu. »Euer künftiges Zuhause.«
Jack sah eine hohe Ziegelsteinmauer, die surrealistisch aus den Feldern aufragte – so hoch, dass man nicht über sie hinwegblicken konnte, und von drei Reihen Stacheldraht und in Beton eingebetteten Glasscherben gekrönt. Der Wagen fuhr jetzt an abgeernteten, eingezäunten Feldern vorüber; in den Zäunen wechselten Stränge aus Stacheldraht und glattem Draht miteinander ab.
»Er hat sechzig Morgen Land hier draußen«, sagte Williams. »Und alles ist von Mauern oder Zäunen umgeben – damit ihr nicht auf dumme Gedanken kommt. Die Jungen haben sie selbst errichtet.«
Da, wo die Straße auf das Grundstück des Heims stieß, unterbrach ein breites Eisentor die lange Flucht der Mauer. Als der Streifenwagen in die Einfahrt bog, schwang das Tor auf, von einem elektronischen Signal gesteuert. »Fernsehkameras«, erklärte der Polizist. »Sie warten schon auf euch zwei frische Fische.«
Jack beugte sich vor und brachte sein Gesicht ans Fenster. Jungen in Köperjacken arbeiteten auf den langen Feldern beiderseits der Straße, hackten, gruben, schoben Schubkarren.
»Ihr beiden Scheißer habt mir gerade zwanzig Dollar eingebracht«, sagte Williams. »Und Richter Fairchild ebenso viel. Ist das nicht grandios?«
Einundzwanzigstes Kapitel
Das Sunlight-Heim
1
Das Heim sah aus, als hätten Kinder es aus Bauklötzen errichtet, dachte Jack – so oft mehr Platz gebraucht wurde, war es aufs Geratewohl erweitert worden. Dann sah er, dass die zahlreichen Fenster vergittert waren, und sofort machte das weitläufige Gebäude auf ihn eher den Eindruck einer Strafanstalt als eines Bauwerks von Kindern.
Der größte Teil der Jungen hatte die Arbeit unterbrochen, um die Ankunft des Streifenwagens zu beobachten.
Franky Williams lenkte den Wagen auf das breite, gerundete Ende der Auffahrt. Als er den Motor abgeschaltet hatte, trat eine hochgewachsene Gestalt durch die Vordertür, blieb auf der obersten Stufe stehen und musterte sie mit vor dem Leib gefalteten Händen. Unter einer dichten Mähne aus ziemlich langem, weißem Haar wirkte das Gesicht des Mannes unwahrscheinlich jugendlich – so, als hätte plastische Chirurgie diese gemeißelten, kraftvoll maskulinen Züge geschaffen oder zumindest deutlicher hervorgehoben. Es war das Gesicht eines Mannes, der alles überall und an jedermann verkaufen konnte. Seine Kleidung war so weiß wie sein Haar, weißer Anzug, weiße Schuhe, weißes Hemd und ein flatternder weißer Seidenschal um seinen Hals. Als Jack und Wolf aus dem Streifenwagen stiegen, holte der Mann in Weiß eine dunkelgrüne Sonnenbrille aus der Jackentasche, setzte sie auf und schien die beiden Jungen einen Augenblick abzuschätzen, bevor er lächelte – lange Falten spalteten seine Wangen. Dann nahm er die Sonnenbrille ab und steckte sie wieder in die Tasche.
»Gut«, sagte er. »Gut, gut. Was täten wir ohne Sie, Officer Williams?«
»Guten Tag, Reverend Gardener«, sagte der Polizist.
»Handelt es sich um das Übliche, oder wurden diese beiden frechen Burschen bei einer kriminellen Handlung gefasst?«
»Stromer«, sagte der Polizist. Er hielt die Hände auf die Hüften gestemmt und blinzelte zu Gardener empor, als stäche ihm all das Weiß schmerzhaft in die Augen. »Weigerten sich, Richter Fairchild ihre richtigen Namen zu nennen. Und der da, der große« – er wies mit dem Daumen auf Wolf – »wollte gar nicht reden. Ich musste ihm eins überbraten, um ihn überhaupt in den Wagen zu bekommen.«
Gardener schüttelte tragisch den Kopf. »Warum bringen Sie sie nicht hier herauf, damit sie sich vorstellen können? Danach erledigen wir die verschiedenen Formalitäten. Liegt irgendein Grund dafür vor, warum sie beide so – äh, sagen wir, ›beduselt‹ aussehen?«
»Dem Großen habe ich einen Schlag hinter die Ohren versetzt.«
»Hmmm.« Gardener trat zurück und legte die Hände vor der Brust zusammen.
Als Williams die Jungen die Stufen zu der langen Vorderveranda hinaufbeförderte, musterte Gardener mit schiefgelegtem Kopf seine Neuankömmlinge. Jack und Wolf erreichten das obere Ende der Treppe und traten zögernd auf
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