Der Talisman
unterschreiben.« Singer schob zwei Formulare auf ihn zu. »Oben den Namen in Druckbuchstaben, unten die Unterschrift. Da, wo die Kreuze sind.« Er lehnte sich auf dem Sessel zurück, hob den Bleistift an die Lippen und ließ sich beredt in eine Ecke sinken. Jack vermutete, dass dies ein Trick war, den er von Reverend Sunlight Gardener persönlich gelernt hatte.
JACK PARKER schrieb er und kritzelte dann etwas dergleichen unten auf das Formular. PHILIPP JACK WOLF. Noch ein Kritzel, seiner wirklichen Handschrift noch unähnlicher.
»Jetzt seid ihr Mündel des Staates Indiana, und das bleibt ihr für die nächsten dreißig Tage, sofern ihr euch nicht entschließt, länger hier zu bleiben.« Singer zog die Formulare zu sich heran. »Ihr werdet …«
»Entschließt?« fragte Jack. »Was meinst du damit?«
Auf Singers Wangen erschien ein Anhauch von Rot. Er ließ den Kopf zur Seite rucken und schien zu lächeln. »Wahrscheinlich weißt du nicht, dass mehr als sechzig Prozent der Jungen freiwillig hier sind. Es ist durchaus möglich, ja. Du könntest dich entschließen, hier zu bleiben.«
Jack bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht.
Singers Mund zuckte so heftig, als hätte ein Angelhaken hineingeschlagen. »Der Laden hier ist in Ordnung, und wenn ich je höre, dass du ihn madig machst, dann schlage ich dich windelweich – ich bin sicher, es ist der beste Ort, an dem du je gewesen bist. Und ich sage dir noch etwas: du hast gar keine andere Wahl. Du hast das Sunlight-Heim zu respektieren. Hast du verstanden?«
Jack nickte.
»Und er? Hat er auch verstanden?«
Jack warf einen Blick auf Wolf, der langsam blinzelte und durch den Mund atmete.
»Ich denke schon.«
»Okay. Ihr beide schlaft in einem Zimmer. Der Tag beginnt um fünf Uhr morgens mit einem Gottesdienst. Feldarbeit bis sieben, dann Frühstück im Speisesaal. Wieder aufs Feld bis Mittag; dann gibt’s Essen mit Bibellesung – dabei kommt jeder dran, also lasst euch beizeiten einfallen, was ihr lesen wollt. Und zwar nichts von dem Sexkram aus dem Hohen Lied, es sei denn, ihr wollt erfahren, was Disziplin heißt. Danach wird weitergearbeitet.«
Er warf Jack einen scharfen Blick zu. »Und glaub nicht, dass du hier im Sunlight-Heim für nichts und wieder nichts arbeitest. Zu unserer Vereinbarung mit dem Staat gehört, dass jeder einen anständigen Stundenlohn bekommt, von dem die Kosten für euren Unterhalt abgezogen werden – Kleidung und Essen, Strom, Heizung und dergleichen mehr. Euch werden fünfzig Cents pro Stunde gutgeschrieben. Das bedeutet, dass ihr für eure Arbeit hier fünf Dollar pro Tag bekommt – dreißig pro Woche. Die Sonntage verbringen wir in der Sunlight-Kapelle, ausgenommen die Zeit, in der wir uns die Sunlight Gardener Gospel Hour anschauen.«
Wieder breitete sich das Rot unter seiner Haut aus, und Jack bekundete durch ein Nicken, dass er verstanden hatte, wozu er sich mehr oder weniger gezwungen sah.
»Wenn ihr euch gut macht und redet wie menschliche Wesen, was die meisten Leute nicht können, kommt ihr vielleicht in den AD – in den Außendienst. Wir haben zwei AD-Abteilungen, eine, die auf den Straßen arbeitet und Blätter mit Hymnen und Blumen und Reverend Gardeners Schriften verkauft, und eine andere, die am Flughafen Dienst tut. Auf jeden Fall haben wir dreißig Tage, in denen wir zwei Säcke wie euch zur Vernunft bringen und euch zeigen können, wie schmutzig und lasterhaft und krankhaft euer dreckiges Leben war, bevor ihr hierhergekommen seid; und damit fangen wir jetzt an, und zwar auf der Stelle.«
Singer stand auf und stützte geziert die Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte; sein Gesicht hatte die Farbe von leuchtendem Herbstlaub. »Leert eure Taschen aus. Und zwar gleich.«
»Gleich hier und jetzt«, murmelte Wolf wie auswendig gelernt.
»AUSLEEREN!« brüllte Singer. »ICH WILL ALLES SEHEN!«
Bast stellte sich neben Wolf. Reverend Gardener, der Franky zu seinem Wagen begleitet hatte, schob sich in Jacks Nähe.
»Wir haben festgestellt, dass persönliche Besitztümer unsere Jungen zu stark an die Vergangenheit binden«, schnurrte Gardener Jack zu. »Sie haben eine destruktive Wirkung. Wir halten dies für eine sehr nützliche Maßnahme.«
»TASCHEN AUSLEEREN!« brüllte Singer wieder, jetzt mit fast unverhohlener Wut.
Jack zog aus den Taschen, was sich im Laufe seiner Wanderung angesammelt hatte. Ein rotes Taschentuch, das Elbert Palamountains Frau ihm gegeben hatte, als sie sah, dass er sich die Nase
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