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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Sirenen zu hören, aber vielleicht war es nur Einbildung.
    Sonnys Augen wanderten mit grauenhafter Unentschlossenheit zu Jack. Er hob die Pistole ein wenig an, und einen Augenblick glaubte Jack, dass Sonny ihn tatsächlich erschießen würde.
    Aber inzwischen waren sechs Minuten vergangen, und noch immer kein Hupensignal, das verkündete, dass der Deus ex machina jetzt nach Muncie aufbrach.
    »Zieh du ihn aus«, sagte Sonny verdrossen zu Andy Warwick. »Ich will ihn nicht anrühren. Er ist ein Sünder. Und ein Schwuler obendrein.«
    Sonny kehrte zum Schreibtisch zurück, während Andys Finger sich mit den Schnüren der Zwangsjacke abmühten.
    »Halt lieber die Klappe«, sagte er. »Ein Wort, und ich bringe dich selbst um.«
    Rechter Arm frei.
    Linker Arm frei.
    Sie sanken knochenlos in seinen Schoß. Das Kribbeln und Stechen setzte wieder ein.
    Warwick zerrte das widerwärtige Ding herunter, ein scheußliches Gebilde aus gelblichbrauner Leinwand und Lederschnüren. Warwick hielt es in der Hand, betrachtete es und verzog das Gesicht. Er schoss quer durch den Raum und begann, es in Sunlight Gardeners Safe zu stopfen.
    »Zieh deine Hosen hoch«, sagte Sonny. »Meinst du etwa, ich genösse den Anblick?«
    Jack zog seine Shorts hoch, bekam den Bund seiner Arbeitshose zu fassen, verlor ihn wieder und schaffte es dann, die Hose hochzuziehen.
    Klick! Die Wechselsprechanlage.
    »Sonny! Andy!« Caseys Stimme, in Panik. »Ich höre etwas!«
    »Kommen sie auf den Hof?« kreischte Sonny. Warwick verdoppelte seine Anstrengung, die Zwangsjacke in den Safe zu stopfen. »Sind Sie durch das Tor …«
    »Nein! In der Kapelle! Ich kann nichts sehen, aber ich höre etwas in der …«
    Eine Explosion von brechendem Glas, als Wolf aus der Dunkelheit der Kapelle in das Studio sprang.
     
    18
     
    Die Schreie, die Casey ausstieß, als er sich in seinem auf Rollen montierten Stuhl vom Tonsteuergerät zurückstieß, wurden grauenhaft verstärkt. Im Studio tobte ein kurzer Glassturm. Wolf landete mit allen vieren auf dem Schaltpult des Steuergeräts und kam mit rot glühenden Augen halb gleitend, halb kletternd herunter. Seine langen Klauen drehten willkürlich Scheiben und legten Schalter um. Die Spulen des großen Sony-Bandgeräts begannen sich zu drehen.
    »KOMMUNISTEN!« dröhnte die Stimme von Sunlight Gardener. Sie war zu höchster Lautstärke aufgedreht und übertönte Caseys Kreischen und Warwicks Schreie, erschieß es, Sonny, erschieß es, erschieß es! Aber nicht nur die Stimme von Gardener war zu hören. Aus dem Hintergrund kam wie Musik aus der Hölle das ineinander verfließende Heulen vieler Sirenen. Caseys Mikrophone registrierten, dass eine Karawane von Streifenwagen in die Auffahrt des Sunlight-Heims einbog.
    »OH, SIE WERDEN EUCH ERZÄHLEN, IHR KÖNNTET EUCH DIESE SCHMUTZIGEN BÜCHER RUHIG ANSEHEN! SIE WERDEN EUCH ERZÄHLEN, ES WÄRE BELANGLOS, DASS DAS GESETZ DAS BETEN IN DEN ÖFFENTLICHEN SCHULEN VERBIETET! SIE WERDEN EUCH ERZÄHLEN, ES WÄRE SOGAR BELANGLOS, DASS SECHZEHN ABGEORDNETE IM REPRÄSENTANTENHAUS UND ZWEI GOUVERNEURE EINGEFLEISCHTE HOMOSEXUELLE SIND! SIE WERDEN EUCH ERZÄHLEN …«
    Caseys Stuhl rollte rückwärts gegen die Glaswand zwischen dem Studio und Sunlight Gardeners Büro. Er drehte den Kopf, und einen Augenblick lang konnten sie seine verstörten, vorgequollenen Augen sehen. Dann sprang Wolf von der Kante des Steuergeräts herunter. Sein Kopf traf Caseys Bauch – und pflügte sich hinein. Seine Kiefer öffneten und schlossen sich mit der Geschwindigkeit einer Mähmaschine. Blut spritzte gegen die Scheibe, als Casey sich zusammenzukrümmen begann.
    »Erschieß es, Sonny, erschieß das verdammte Ding!« heulte Warwick.
    »Glaube, ich erschieße lieber ihn«, sagte Sonny und drehte sich zu Jack um. Er sprach im Ton eines Mannes, der endlich eine grandiose Entscheidung getroffen hat. Er nickte, dann begann er zu grinsen.
    »… DER TAG WIRD KOMMEN, JUNGEN! OH JA, EIN HERRLICHER TAG, UND AN DIESEM TAG WERDEN DIESE KOMMUNISTISCHEN HUMANISTEN, DIESE ZUR HÖLLE VERDAMMTEN ATHEISTEN ENTDECKEN, DASS DER FELSEN IHNEN KEINEN SCHUTZ BIETET, DASS SIE UNTER DEM TOTEN BAUM KEINE ZUFLUCHT FINDEN! SIE WERDEN, OH, SAGT HALLELUJA, SIE WERDEN …«
    Wolf, der knurrte und fetzte.
    Sunlight Gardener, der gegen Kommunismus und Humanismus wütete, gegen die zur Hölle verdammten Drogenhändler, die dafür sorgten, dass in den öffentlichen Schulen das Gebet nicht wieder eingeführt wurde.
    Sirenen von draußen; zuschlagende

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