Der Talisman
nächsten Vormittag setzte ein erschöpfter Jack Sawyer am Rande eines langen, mit steifem, braunem, totem Gras bedeckten Sportfeldes seinen Rucksack ab. Weit hinten arbeiteten zwei Männer in karierten Jacken und Baseballkappen mit Laubsauger und Harke auf einem Rasenstreifen, der die am weitesten von Jack entfernte Gruppe von Gebäuden umgab. Zu seiner Linken, gleich hinter der ziegelsteinroten Rückfront der Bibliothek von Thayer, lag der Lehrerparkplatz. Vor der Thayer School führte ein großes Tor auf eine von Bäumen gesäumte Auffahrt, die einen großen, von schmalen Pfaden durchzogenen rechteckigen Innenhof umgab. Wenn irgendetwas auf dem Schulgelände ins Auge stach, dann war es die Bibliothek – ein Bauhaus-Dampfer aus Glas, Stahl und Ziegelsteinen.
Jack hatte bereits festgestellt, dass vor der Bibliothek ein weiteres Tor auf eine andere Straße führte, die sich über zwei Drittel der Länge des Schulgeländes erstreckte und bei den in einem Rondeel aufgestellten Müllcontainern endete; dahinter stieg das Land zu einem Plateau an, auf dem der Footballplatz lag.
Jack bewegte sich am Rande des Sportfeldes entlang auf die Rückseite der Schulgebäude zu. Wenn sich die Thayer-Schüler in den Speisesaal begaben, konnte er sich auf die Suche nach Richards Zimmer machen -Nelson House, Eingang 5.
Das trockene Wintergras knisterte unter seinen Füßen. Jack zog Myles P. Kigers Mantel eng um sich. Der Mantel zumindest sah standesgemäß aus, was man von Jack kaum behaupten konnte. Er wanderte zwischen Thayer Hall und einem Wohngebäude mit Namen Spence House auf den rechteckigen Hof zu. Durch die Fenster von Spence House drangen müßige Spätvormittagsstimmen.
2
Jack blickte zum Hof und sah einen ältlichen Mann, leicht gebeugt und aus grünlicher Bronze, der auf einem Podest von der Höhe einer Hobelbank stand und den Umschlag eines schweren Buches betrachtete. Eider Thayer, vermutete Jack. Er trug den steifen Kragen, die weich fließende Krawatte und den Gehrock eines Neuengland-Transzendentalisten. Eider Thayers über das Buch geneigter Bronzekopf wies ungefähr in die Richtung der Unterrichtsgebäude.
Am Ende des Pfades bog Jack nach rechts ab. Plötzlich drang Lärm aus einem Fenster über ihm – Jungen skandierten die Silben eines Namens, der wie »Etheridge! Etheridge!« klang. Dann ein Getöse aus wortlosen Schreien und Rufen, begleitet vom Scharren schwerer Möbelstücke über einen Holzfußboden. »Etheridge!«
Jack hörte hinter seinem Rücken eine Tür ins Schloss fallen, und als er über die Schulter blickte, sah er einen hochgewachsenen Jungen mit schmutzigblondem Haar, der die Eingangsstufen von Spence House herabsprang. Er trug ein Sportjackett aus Tweed und eine Krawatte und ein Paar L. L. Bean Maine-Jagdschuhe. Vor der Kälte schützte ihn nur ein langer gelbblauer Schal, den er mehrmals um den Hals geschlungen hatte. Sein langes Gesicht wirkte gleichzeitig erschöpft und arrogant; im Augenblick war es das Gesicht eines Seniors in selbstgerechter Empörung. Jack zog die Kapuze des Lodenmantels über den Kopf und ging weiter den Pfad entlang.
»Keiner rührt sich von der Stelle!« rief der hochgewachsene Junge zu dem geschlossenen Fenster hinauf. »Ihr Anfänger bleibt gefälligst, wo ihr seid!«
Jack bewegte sich auf das nächste Gebäude zu.
»Ihr schiebt die Stühle herum!« schrie der hochgewachsene Junge hinter ihm. »Ich höre es. LASST DAS!« Dann hörte Jack, wie der wütende Senior ihn anrief.
Jack fuhr herum, mit wild klopfendem Herzen.
»Scher dich ins Nelson House, wer du auch bist, und zwar sofort, im Geschwindschritt, dalli-dalli. Sonst melde ich dich deinem Hausmaster.«
»Ja, Sir«, sagte Jack und machte schleunigst kehrt, um sich in die von dem Präfekten angedeutete Richtung zu bewegen.
»Du bist mindestens sieben Minuten zu spät dran!« brüllte Etheridge ihn an, und Jack fiel in Trab. »Im Geschwindschritt, habe ich gesagt!« Jack wechselte von Trab zu schnellem Lauf.
Als sein Weg bergab führte (er hoffte, dass es der richtige Weg war, zumindest war es die Richtung, in die Etheridge allem Anschein nach geblickt hatte), sah er, wie ein langer schwarzer Wagen – eine Limousine – gerade das Haupttor passierte und die lange Auffahrt zum Innenhof heraufglitt. Ihm kam der Gedanke, dass es sich bei demjenigen, der hinter den getönten Scheiben dieser Limousine saß, vermutlich nicht um eine so gewöhnliche Person wie den Vater oder die Mutter eines
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