Der Talisman
Tische in der Nähe des Beckens saß Richards Vater, in einen fülligen, flauschigen Frotteemantel gehüllt, Badesandalen an den weißen Füßen; er verzehrte ein Club-Sandwich und beschäftigte sich gleichzeitig mit dem Telefon in seiner anderen Hand.
»Ist es das, was du tun möchtest?« fragte er Richard, der ordentlich dasaß, während er sich ausgestreckt hatte, und – kaum überraschend – ein Buch in der Hand hielt. Das Leben von Thomas Edison.
»Was ich tun möchte? Wenn ich erwachsen bin, meinst du?« Richard schien von der Frage ein wenig aus der Fassung gebracht. »Wahrscheinlich ist es ganz nett. Ich weiß nicht, ob ich es möchte oder nicht.«
»Weißt du schon, was du willst, Richard? Du sagst immer, du wolltest Chemieforscher werden«, sagte Jack. »Warum sagst du das? Was bedeutet es?«
»Es bedeutet, dass ich Chemieforscher werden möchte.« Richard lächelte.
»Du weißt genau, was ich meine. Welchen Sinn hat es, Chemieforscher zu sein? Glaubst du, dass es Spaß machen wird? Glaubst du, dass du Krebs heilen und eine Million Menschenleben retten kannst?«
Richard betrachtete ihn ganz offen, und die Brille, die er seit ungefähr vier Monaten trug, vergrößerte seine Augen. »Nein, ich glaube nicht, dass ich je Krebs heilen werde. Aber darum geht es nicht. Der Sinn der Sache ist, herauszufinden, wie die Dinge funktionieren. Der Sinn liegt darin, dass in Wirklichkeit alles in einer festen Ordnung abläuft, wenn es auch nicht den Anschein hat, und dass man das herausfinden kann.«
»Ordnung.«
»Ja. Und das ist kein Grund zum Lächeln.«
Jack lächelte noch breiter. »Wahrscheinlich wirst du mich für verrückt halten. Ich möchte etwas finden, das all dies – all dieses reiche Volk, das hinter Golfbällen herjagt und in Telefone brüllt, das all dies erbärmlich aussehen lässt.«
»Es sieht ohnehin schon erbärmlich aus«, sagte Richard ernsthaft.
»Denkst du nicht manchmal, dass mehr zum Leben gehört als Ordnung?« Er warf einen Blick auf Richards unschuldiges, skeptisches Gesicht. »Willst du nicht auch ein bisschen Magie, Richard?«
»Weißt du, manchmal glaube ich, was du willst, ist das Chaos«, sagte Richard. »Ich glaube, du willst mich auf den Arm nehmen. Wenn du Magie willst, dann zerstörst du alles, woran ich glaube. Im Grunde zerstörst du die Realität.«
»Vielleicht gibt es nicht nur eine Realität.«
»Sicher, in Alice im Wunderland vielleicht.« Richard verlor die Beherrschung.
Er stapfte durch die Kiefern davon, und Jack begriff zum ersten Mal, dass dieses Gespräch, das von seiner Einstellung zu den Tagträumen ausgegangen war, seinen Freund wütend gemacht hatte. Jacks längere Beine brachten ihn Sekunden später an Richards Seite. »Ich will dich nicht auf den Arm nehmen«, sagte er. »Im Grunde wollte ich nur wissen, warum du immer sagst, dass du Chemieforscher werden willst.«
Richard blieb stehen und musterte Jack nüchtern.
»Hör auf, mich mit solchem Gerede verrückt zu machen«, sagte Richard. »Das ist doch nur Seabrook Island-Kram. Zu den sechs oder sieben vernünftigen Leuten in Amerika zu gehören, ist schon schwierig genug, auch ohne dass mein bester Freund durchdreht.«
Von diesem Tage an scheute Richard Sloat jedes Mal zurück, wenn Jack irgendetwas Phantastisches andeutete, und tat es als »Seabrook Island-Kram« ab.
4
Als Richard aus dem Speisesaal zurückkam, betrachtete Jack, frisch geduscht und mit nass am Kopf klebendem Haar müßig die Bücher auf Richards Schreibtisch, und als Richard mit einer fettfleckigen Papierserviette, die ganz offensichtlich um eine beachtliche Menge Verpflegung gewickelt war, durch die Tür trat, fragte er sich, ob die bevorstehende Unterhaltung einfacher sein würde, wenn die Bücher auf dem Schreibtisch nicht Organische Chemie und Mathematische Puzzles gewesen wären, sondern Der Herr der Ringe und Unten am Fluss.
»Was gab’s zum Lunch?«
»Du hast Glück gehabt. Hähnchen auf Südstaatenart unter dem, was wir hier kriegen, eines der wenigen Gerichte, bei denen einem das Tier nicht leid tut, das sterben musste, um Teil der Nahrungskette zu werden.« Er reichte Jack die fettige Serviette. Vier große, goldbraun gebratene Hähnchenkeulen verbreiteten einen fast unglaublich guten Duft. Jack stürzte sich darauf.
»Seit wann isst du wie ein Scheunendrescher?« Richard schob die Brille auf der Nase hoch und setzte sich auf sein schmales Bett. Unter seinem Tweedjackett trug er einen braungemusterten
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