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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Schülers handelte.
    Der lange schwarze Wagen schob sich vorwärts, aufreizend langsam.
    Nein, dachte Jack. Ich sehe Gespenster.
    Dennoch konnte er sich nicht rühren. Jack beobachtete, wie die Limousine am Rand des Hofes mit laufendem Motor zum Stehen kam. Ein schwarzer Chauffeur mit den Schultern eines Football-Verteidigers stieg aus und öffnete die hintere Tür. Ein alter, weißhaariger Mann, ein Fremder, stieg mühsam aus dem Fond des Wagens. Er trug einen schwarzen Mantel, der ein makellos weißes Hemd und eine einfarbig dunkle Krawatte sehen ließ. Der Mann nickte dem Chauffeur zu und bewegte sich langsam über den Hof auf das Hauptgebäude zu, ohne auch nur einen Blick in Jacks Richtung zu werfen. Der Chauffeur reckte bedächtig den Hals und blickte himmelwärts, als erwartete er, dass es gleich zu schneien anfinge. Jack trat ein paar Schritte zurück und beobachtete, wie der alte Mann die Stufen von Thayer Hall hinaufschritt. Der Chauffeur setzte seine eingehende Himmelsbetrachtung fort. Jack wich rückwärts auf dem Pfad zurück, bis ihn die Seitenfront des Gebäudes deckte; dann drehte er sich um und ging schnell weiter.
     
    Nelson House war ein zweistöckiges Ziegelgebäude an der anderen Seite des Innenhofes. Zwei Fenster im Erdgeschoß zeigten ihm ein Dutzend Senioren, die ihre Privilegien genossen: sie lasen auf Couches hingestreckt, spielten gelangweilt Karten an einem niedrigen Tisch; andere blickten müßig auf etwas, bei dem es sich um ein Fernsehgerät handeln mochte, das unterhalb des Fensters stand.
    Etwas weiter den Hügel hinauf schlug eine unsichtbare Tür zu, und Jack erhaschte einen Blick auf Etheridge, den hochgewachsenen blonden Senior, der in sein eigenes Haus zurückkehrte, nachdem er die Erstsemester für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen hatte.
    Jack ging an der Front des Gebäudes entlang, und als er um die Ecke bog, fuhr ihm ein kalter Wind ins Gesicht. Gleich hinter der Ecke war eine schmale Tür und eine Tafel, eine weiße Holztafel mit schwarzen Kursivbuchstaben. Sie trug die Aufschrift EINGANG 5. Eine Reihe von Fenstern streckte sich bis zur nächsten Ecke.
    Und hier, am dritten Fenster – Erleichterung. Denn hier saß Richard Sloat, die Bügel seiner Brille fest hinter den Ohren, die Krawatte korrekt geknotet, nur die Hände ein wenig tintenfleckig, gerade aufgerichtet an seinem Schreibtisch und las in einem dicken Buch, als hinge sein Leben davon ab. Er saß halb abgewandt von Jack, so dass dieser Zeit hatte, Richards geliebtes, vertrautes Profil in sich aufzunehmen, bevor er ans Fenster klopfte.
    Richards Kopf fuhr vom Buch hoch. Er sah sich nervös um, erschreckt und überrascht von dem unerwarteten Geräusch.
    »Richard«, sagte Jack leise und wurde mit dem Anblick des erstaunten Gesichtes seines Freundes belohnt. Richard war so fassungslos, dass er fast schwachsinnig wirkte.
    »Mach das Fenster auf«, sagte Jack; er formulierte die Worte übertrieben sorgfältig, damit sein Freund sie ihm von den Lippen ablesen konnte.
    Richard erhob sich vom Schreibtisch, noch immer mit der Langsamkeit eines Menschen unter Schock. Jack deutete pantomimisch das Hochschieben des Fensters an. Als Richard am Fenster stand, legte er die Hände auf den Rahmen und musterte Jack einen Augenblick lang. Sein kurzer, kritischer Blick war zugleich eine Verurteilung von Jacks schmutzigem Gesicht und seinem strähnigen, ungewaschenen Haar, seiner unorthodoxen Ankunft und noch vielem mehr. Was in aller Welt hast du nun wieder ausgeheckt? Endlich schob er das Fenster hoch.
    »Nun?« sagte Richard. »Die meisten Leute benutzen die Tür.«
    »Sicher«, sagte Jack, fast lachend. »Wenn ich so wäre wie die meisten Leute, täte ich das wahrscheinlich auch. Tritt zurück, ja?«
    Richard, der aussah, als hätte man ihn bei einer Unachtsamkeit ertappt, wich ein paar Schritte zurück.
    Jack schwang sich auf die Fensterbank und glitt mit dem Kopf voran durchs Fenster. »Uff!«
    »Okay, hi«, sagte Richard. »Ich glaube, ich freue mich sogar, dich zu sehen. Aber ich muss bald zum Lunch. Du könntest inzwischen duschen, denke ich. Die anderen sind drüben im Speisesaal.« Er brach ab, als wäre er verblüfft, weil er so viel geredet hatte.
    Mit Richard, begriff Jack, musste er behutsam umgehen. »Könntest du mir etwas zu essen mitbringen? Ich bin am Verhungern.«
    »Großartig«, sagte Richard. »Erst machst du alle Welt, meinen Vater eingeschlossen, halb verrückt, indem du davonläufst, dann kommst du

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