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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Liebenswürdigkeit darin, dass es Jack das Herz wärmte. »Ich bin trotzdem froh, dass du gekommen bist«, sagte Richard. »Wir reden morgen früh über all diese Dinge. Ich bin sicher, dann geben sie mehr Sinn. Und mein bisschen Fieber wird bis dahin auch vergangen sein.«
    Richard drehte sich auf die rechte Seite und schloss die Augen. Fünf Minuten später war er trotz des harten Fußbodens eingeschlafen.
    Jack blieb noch lange sitzen und blickte hinaus in die Dunkelheit. Gelegentlich sah er die Lichter von Wagen, die auf der Springfield Avenue entlangfuhren; zu anderen Zeiten schienen sowohl die Scheinwerfer als auch die Straßenlaternen verschwunden zu sein; es war, als kippte die gesamte Thayer School immer wieder aus der Realität heraus und hinge eine Weile im Nirgendwo, bevor sie wieder zurückkippte.
    Ein Wind kam auf. Jack konnte hören, wie er die letzten gefrorenen Blätter an den Bäumen auf dem Hof rasseln ließ; konnte hören, wie er die Äste aneinander schlug wie Knochen; konnte hören, wie er kalt zwischen den Gebäuden hindurchpfiff.
     
    2
     
    »Der Kerl kommt«, sagte Jack nervös. Es war etwa eine Stunde später. »Etheridges Twinner.«
    »Was ist los?«
    »Kümmere dich nicht darum«, sagte Jack. »Schlaf einfach weiter. Du brauchst das nicht zu sehen.«
    Aber Richard setzte sich auf. Bevor sich sein Blick auf die gebückte, irgendwie verzerrte Gestalt richtete, die auf das Haus zukam, fesselte ihn der Anblick des Campus. Er war zutiefst bestürzt und verängstigt.
    Der Efeu an der Monkson-Turnhalle, der am Morgen zwar gelichtet, aber immer noch schwach grün gewesen war, hatte jetzt eine hässliche, krankhafte Gelbfärbung angenommen.
    »Sloat! Schick deinen Passagier raus!«
    Plötzlich wollte Richard nur noch weiterschlafen – weiterschlafen, bis seine Grippe wieder verschwunden war (beim Erwachen hatte er beschlossen, dass es eine Grippe sein musste; nicht nur eine fieberhafte Erkältung, sondern eine regelrechte Grippe); und die Grippe und das Fieber lösten diese grauenhaften Halluzinationen aus. Er hätte nie am offenen Fenster stehen dürfen – oder zulassen sollen, dass Jack durchs Fenster in sein Zimmer kam, dachte Richard und schämte sich sofort dieses Gedankens.
     
    3
     
    Jack warf einen schnellen Seitenblick auf Richard; sein blasses Gesicht und die vorstehenden Augen verrieten Jack, dass sich Richard immer mehr dem Punkt näherte, an dem er der Belastung nicht mehr gewachsen war.
    Das Ding draußen war klein. Es stand auf dem reifbedeckten Gras wie ein Troll, der unter irgendeiner Brücke hervorgekrochen ist; seine langen Klauenhände hingen fast bis zu den Knien herab. Es trug einen Militär-Duffelcoat, auf dessen linker Tasche der Name ETHERIDGE aufgedruckt war. Der Reißverschluss des Duffelcoats war nicht zugezogen, und darunter konnte Jack ein zerrissenes, ungebügeltes Pendleton-Hemd sehen. Auf einer Seite war ein dunkler Fleck, der von Blut oder Erbrochenem herrühren mochte. Er trug eine zerknitterte blaue Ripskrawatte mit einem Muster aus winzigen goldgelben E’s; ein paar Kletten hingen daran wie groteske Krawattennadeln.
    Nur eine Hälfte vom Gesicht dieses neuen Etheridge funktionierte richtig. In seinem Haar war Schmutz, welkes Laub haftete an seinen Kleidern.
    »Sloat! Schick deinen Passagier raus!«
    Jack blickte wieder auf Etheridges grässlichen Twinner herab. Seine Augen, die irgendwie in ihren Höhlen vibrierten wie Stimmgabeln, die man in schnelle Schwingung versetzt hat, fingen seinen Blick ein und hielten ihn fest. Er hatte Mühe, ihn abzuwenden.
    »Richard!« stöhnte er. »Sieh ihm nicht in die Augen.«
    Richard antwortete nicht; er starrte mit benommener Faszination auf die grinsende Troll-Version von Etheridge.
    Betroffen stieß Jack seinen Freund mit der Schulter an.
    »Oh«, sagte Richard. Unvermittelt ergriff er Jacks Hand und drückte sie gegen seine Stirn. »Wie heiß fühle ich mich an?« fragte er.
    Jack zog die Hand von Richards Stirn zurück, die ein wenig warm war, aber nicht mehr.
    »Ziemlich heiß«, log er.
    »Ich wusste es«, sagte Richard erleichtert. »Ich glaube, ich gehe bald in die Krankenstation. Ich brauche ein Antibiotikum.«
    »Schick ihn raus, Sloat!«
    »Lass uns den Schrank vors Fenster schieben«, sagte Jack.
    »Dir passiert nichts, Sloat!« rief Etheridge. Das Ding grinste ermutigend – das heißt, die rechte Hälfte seines Gesichtes grinste ermutigend; die linke Hälfte verharrte in leichenhafter Starre.
    »Wie kann

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