Der Talisman
habe!« setzte er schnell hinzu, als erwartete er, dass Jack ihn jeden Augenblick danach fragen könnte.
»Richard, wir müssen aus diesem Zimmer raus«, sagte Jack.
»Aus diesem …« Richard sah Jack an, als hätte er den Verstand verloren. »Das kann ich nicht, Jack. Ich habe hohes Fieber – mindestens neununddreißigfünf, wenn nicht sogar vierzig Grad. Ich kann nicht …«
»Du hast höchstens ein Grad Fieber«, sagte Jack gelassen. »Vermutlich nicht einmal das …«
»Ich verbrenne!« protestierte Richard.
»Sie werfen mit Steinen, Richard.«
»Halluzinationen können nicht mit Steinen werfen, Jack«, sagte Richard, als erkläre er einem Schwachsinnigen einen simplen, aber wichtigen Tatbestand. »Das ist Seabrook Island-Kram. Das ist …«
Eine weitere Salve von Steinen flog durchs Fenster.
»Schick deinen Passagier raus, Sloat!«
»Komm, Richard«, sagte Jack und zog den Jungen auf die Füße. Er führte ihn zur Tür und auf den Flur. Richard tat ihm jetzt entsetzlich leid – vielleicht nicht so leid, wie ihm Wolf getan hatte; aber viel fehlte daran nicht.
»Nein – krank – Fieber – kann nicht …«
Hinter ihnen dröhnten weitere Steine gegen den Schrank.
Richard schrie auf und klammerte sich an Jack wie ein Junge, der dem Ertrinken nahe ist.
Wildes, gackerndes Gelächter von draußen. Hunde heulten und kämpften miteinander.
Jack sah, wie Richard noch blasser wurde, sah ihn schwanken und versuchte zuzufassen. Aber er schaffte es nicht, Richard festzuhalten, als er vor Reuel Gardeners Tür zusammenbrach.
5
Es war nur eine Ohnmacht, und Richard kam schnell wieder zu sich, als Jack ihn in die empfindliche Haut zwischen Daumen und Zeigefinger kniff. Über das, was draußen vorging, wollte er nicht sprechen – er tat sogar, als wüsste er nicht, wovon Jack redete.
Sie bewegten sich behutsam den Flur entlang zur Treppe. Als sie beim Gemeinschaftsraum angekommen waren, steckte Jack den Kopf hinein und pfiff. »Richard, sieh dir das an!«
Widerstrebend sah Richard hinein. Der Gemeinschaftsraum war ein einziges Chaos. Stühle waren umgeworfen. Die Kissen auf der Couch waren aufgeschlitzt. Das Ölporträt von Eider Thayer an der gegenüberliegenden Wand war verunstaltet – jemand hatte aus seinem gepflegten weißen Haar ein Paar Teufelshörner herausragen lassen, ein anderer hatte einen Schnurrbart unter seine Nase gemalt, und ein dritter hatte eine Nagelfeile oder ein ähnliches Instrument dazu benutzt, ihn mit einem rohen Phallus zu versehen. Das Glas des Trophäenschrankes war zerschmettert.
Der Ausdruck benommenen, fassungslosen Entsetzens auf Richards Gesicht gefiel Jack ganz und gar nicht. Vielleicht wären sogar Kobolde, die in gespenstischer Prozession durch die Korridore zogen, oder Drachen über dem Innenhof für Richard erträglicher gewesen als diese stetige Erosion der Thayer School, die er kannte und liebte – einer Schule, die Richard fraglos für gut und edel hielt, ein sicheres Bollwerk gegen eine Welt, in der man sich im Grunde auf nichts verlassen konnte – nicht einmal darauf, dachte Jack, dass Väter wieder aus den Schränken herauskamen, in die sie hineingegangen waren.
»Wer hat das getan?« fragte Richard wütend. »Diese Kerle haben das getan«, beantwortete er selbst seine Frage. »Die waren es.« Er sah Jack an, und eine großartige, verschwommene Einsicht begann auf seinem Gesicht zu dämmern. »Vielleicht sind es Kolumbianer«, sagte er plötzlich. »Vielleicht sind es Kolumbianer, und dies ist eine Art Drogenkrieg, Jack. Ist dir der Gedanke auch schon gekommen?«
Jack hatte Mühe, ein lautes, irres Gelächter zu unterdrücken. Das war eine Erklärung, auf die vielleicht nur Richard Sloat hatte kommen können. Es waren die Kolumbianer. Der Krieg um die Absatzgebiete für Kokain wurde in der Thayer School in Springfield, Illinois, ausgetragen. Elementar, mein lieber Watson; dieses Problem hat eine siebeneinhalbprozentige Lösung.
»Unmöglich ist nichts«, sagte Jack. »Gehen wir nach oben.«
»Warum in aller Welt?«
»Nun – vielleicht finden wir da noch jemanden«, sagte Jack. In Wirklichkeit glaubte er es nicht, aber es war eine Antwort. »Vielleicht hat sich da oben jemand versteckt. Jemand, der normal ist wie wir.«
Richard sah Jack an, dann wanderte sein Blick wieder über das Chaos im Gemeinschaftsraum. Ein Ausdruck alptraumhafter Qual kehrte in sein Gesicht zurück, ein Ausdruck, der besagte: Ich will das alles ja gar nicht sehen, aber
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