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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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(wenn auch nicht hundertprozentig: Richard klammerte sich nach wie vor hartnäckig an den Gedanken, dass es eine Halluzination gewesen war), aber Richard hatte genug davon, ein für allemal.
    Am folgenden Morgen ging Jack nach unten. Er holte seine eigenen Sachen und alles, von dem er annahm, dass Richard es haben wollte – Zahnbürste, Schulbücher, Hefte, frische Kleidung. Sie würden den Tag im Zimmer von Albert dem Klops verbringen. Von dort aus konnten sie den Hof und das Tor im Auge behalten. Wenn es dann wieder Abend wurde, konnten sie vielleicht entkommen.
     
    5
     
    Jack durchsuchte Alberts Schreibtisch und fand eine Flasche mit Baby-Aspirin. Er betrachtete sie einen Augenblick und fand, dass die kleinen orangefarbenen Tabletten fast ebensoviel über die liebende Mutter des verschwundenen Albert aussagten wie der Karton mit Lakritzstangen auf dem obersten Schrankbord. Jack schüttelte ein halbes Dutzend Tabletten heraus. Er gab sie Richard, und Richard schluckte sie geistesabwesend. »Komm hier herüber und leg dich hin«, sagte Jack.
    »Nein«, erwiderte Richard in einem Ton, der verdrossen, ruhelos und entsetzlich unglücklich war. Er kehrte zum Fenster zurück. »Ich muss Wache halten, Jack. Wenn solche Dinge vorgehen, muss jemand da sein, der Wache hält. Damit ein ausführlicher Bericht geschrieben werden kann – für die – für die Treuhänder. Später.«
    Jack berührte leicht Richards Stirn. Und obwohl sie kühl war – fast kalt –, sagte er. »Dein Fieber ist schlimmer geworden. Leg dich lieber hin, bis das Aspirin gewirkt hat.«
    »Schlimmer?« Richard sah ihn rührend dankbar an. »Wirklich?« »Wirklich«, sagte Jack ernst. »Komm und leg dich hin.« Fünf Minuten, nachdem er sich hingelegt hatte, war Richard eingeschlafen. Jack ließ sich im Sessel von Albert dem Klops nieder, dessen Sitz genauso durchsackte wie die Mitte seiner Matratze. Richards Gesicht leuchtete wächsern im aufdämmernden Tageslicht.
     
    6
     
    Irgendwie ging der Tag vorüber; gegen vier schlief Jack ein. Als er erwachte, war es dunkel, und er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Er wusste nur, dass er nicht geträumt hatte, und dafür war er dankbar. Richard bewegte sich unruhig, und Jack vermutete, dass er bald aufwachen würde. Er stand auf und streckte sich, stöhnte über die Steifheit in seinem Nacken. Er trat ans Fenster, schaute hinaus und stand dann reglos mit weit aufgerissenen Augen da. Sein erster Gedanke war: Ich will nicht, dass Richard das sieht. Nicht, wenn ich es verhindern kann.
    O Gott, wir müssen hier raus, und das so bald wie möglich, dachte Jack bestürzt. Sogar wenn sie – weshalb auch immer – davor zurückschrecken, uns direkt anzugreifen.
    Aber würde er Richard tatsächlich hier herausholen? Sie schienen nicht zu glauben, dass er es tun würde – sie rechneten damit, dass es ihm widerstrebte, Richard noch tiefer in diesen Wahnsinn hineinzuziehen.
    Flippen, Jacko. Du musst flippen, und du weißt es. Und du musst Richard mitnehmen, weil dieser Ort zum Teufel geht.
    Ich kann nicht. Wenn wir in die Region flippen, werden bei Richard sämtliche Schrauben locker.
    Das spielt keine Rolle. Du musst es tun. Es ist die beste Lösung – vielleicht sogar die einzige – weil sie nicht damit rechnen.
    »Jack?« Richard setzte sich auf. Ohne die Brille wirkte sein Gesicht seltsam nackt. »Jack, ist es vorbei? War es ein Traum?«
    Jack setzte sich auf das Bett und legte einen Arm um Richards Schultern. »Nein«, sagte er leise und beruhigend. »Es ist noch nicht vorbei.«
    »Ich glaube, mein Fieber ist schlimmer geworden«, verkündete Richard und entzog sich Jack. Er ging hinüber zum Fenster und hielt dabei einen Bügel seiner Brille vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Er setzte die Brille auf und blickte hinaus. Gestalten mit glühenden Augen streiften umher. Er stand lange Zeit am Fenster, und dann tat er etwas, das so wenig zu Richard passte, dass Jack es kaum glauben konnte. Er nahm die Brille wieder ab und ließ sie fallen. Ein sprödes Knistern war zu hören, als ein Glas zerbrach. Dann trat er mit voller Absicht auf die Brille und zertrümmerte beide Gläser.
    Er hob die Brille auf, betrachtete sie und warf sie dann ohne eine Spur von Betroffenheit in die Richtung des Papierkorbes von Albert dem Klops. Er traf weit daneben. Jetzt lag auch eine Art sanfter Dickköpfigkeit in Richards Gesichtetwas, das besagte: Ich will nichts mehr sehen, also werde ich nichts

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