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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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– sie ist tot und stinkt.«
    »Weg mit dir!« brüllte Jack, und er hatte den Eindruck, dass das Etheridge-Ding wieder in hilfloser Wut zurückfuhr.
    Richard war neben ihm ans Fenster getreten, blass und verstört. »Was brüllt ihr euch da zu?« fragte er. Er blickte wie gebannt auf das grinsende Zerrbild, das jenseits der Straße unter ihnen stand. »Woher weiß Etheridge, dass deine Mutter in New Hampshire ist?«
    »Sloat!« brüllte das Etheridge-Ding herauf. »Wo ist deine Krawatte?«
    Richards Gesicht verkrampfte sich schuldbewusst; seine Hände fuhren zum offenen Kragen seines Hemdes empor.
    »Wir lassen es dir diesmal durchgehen, wenn du deinen Passagier rausschickst, Sloat!« kreischte das Etheridge-Ding herauf. »Wenn du ihn rausschickst, kann alles wieder so werden, wie es war. Das willst du doch, oder?«
    Richard starrte hinunter auf das Etheridge-Ding und nickte unwillkürlich – dessen war sich Jack ganz sicher. Sein Gesicht war vor Qual verzerrt, in seinen Augen glänzten unvergossene Tränen. Ja, er wollte, dass alles wieder so wurde, wie es war.
    »Liebst du diese Schule nicht, Sloat?« rief das Etheridge-Ding zu Alberts Fenster herauf.
    »Doch«, murmelte Richard und unterdrückte ein Schluchzen. »Doch, natürlich liebe ich sie.«
    »Weißt du, was wir mit Punkern machen, die diese Schule nicht lieben? Schick ihn raus! Dann ist alles wieder so, als wäre er nie hier gewesen!«
    Richard drehte sich langsam um und musterte Jack mit grauenhaft leerem Blick.
    »Die Entscheidung liegt bei dir, Richieboy«, sagte Jack leise.
    »Er hat Drogen bei sich, Richard!« rief das Etheridge-Ding herauf. »Vier oder fünf Sorten. Koks, Hasch, Engelsstaub! Er hat mit dem Zeug gehandelt, um seine Reise zu finanzieren! Was meinst du, wie er zu dem hübschen Mantel gekommen ist, den er trug, als er bei dir aufkreuzte?«
    »Drogen«, sagte Richard mit einem Schauder der Erleichterung. »Ich wusste es.«
    »Aber du glaubst es nicht«, sagte Jack. »Drogen haben deine Schule nicht verändert, Richard. Und die Hunde …«
    »Schick ihn raus …« Die Stimme des Etheridge-Dings wurde immer schwächer.
    Als die beiden Jungen wieder hinunterblickten, war es verschwunden.
    »Wohin, glaubst du, ist dein Vater gegangen?« fragte Jack leise. »Wohin ist er gegangen, als er nicht wieder aus diesem Schrank herauskam?«
    Richard drehte sich langsam wieder zu ihm um. Sein Gesicht, sonst so ruhig und intelligent und gefasst, zitterte so heftig, dass es regelrecht zerfiel. Sein Brustkorb begann zu zucken. Plötzlich stürzte Richard in Jacks Arme, umklammerte ihn in blinder Panik. Sein Körper zitterte unter Jacks Händen wie ein bis zum Zerreißen gespanntes Drahtseil. »Es hat mich berührt, es hat mich berührt, etwas da drin hat mich berührt UND ICH WEISS NICHT, WAS ES WAR!«
     
    2
     
    Die brennende Stirn gegen Jacks Schulter gedrückt, sprudelte Richard die Geschichte hervor, die er all die Jahre in sich verschlossen hatte. Sie kam in harten kleinen Brocken, wie deformierte Geschosse. Während er zuhörte, musste Jack daran denken, wie sein Vater damals in die Garage gegangen und ihm zwei Stunden später auf der Straße entgegengekommen war. Das war schlimm gewesen, aber was Richard widerfahren war, war viel, viel schlimmer. Es erklärte Richards eisernes, kompromißloses Beharren auf Realität, der ganzen Realität und nichts als Realität. Es erklärte, warum Richard alles Phantastische ablehnte, sogar Science Fiktion: Jack wusste aus eigener Schul-Erfahrung, dass Typen wie Richard sie gewöhnlich verschlangen – das heißt, so lange es der harte Stoff war, Heinlein, Asimov, Arthur C. Clarke, Larry Niven zum Beispiel, nicht der metaphysische Quark der Robert Silverbergs und Barry Malzbergs –, aber das Zeug, in dem alle Sternquadranten und Logarithmen stimmten, das verschlangen sie, bis es ihnen zu den Ohren herauskam. Aber nicht Richard. Richards Abneigung gegen jede Art von Phantasie ging so weit, dass er nicht einen einzigen Roman zur Hand nahm, wenn es keine Hausaufgabe war; früher hatte er Jack die Bücher aussuchen lassen, wenn er einen Aufsatz über ein Buch seiner Wahl schreiben musste; sie waren ihm gleichgültig, und er hatte sie durchgekaut wie trockenes Brot. Es wurde zu einer Herausforderung für Jack, eine Geschichte – irgendeine Geschichte – zu finden, die Richard gefallen, ihn ablenken, ihn mitreißen würde, wie gute Romane und Geschichten Jack gelegentlich mitrissen – die guten, dachte er, waren

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