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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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ein Stern von übler Vorbedeutung.
    All dies bedeutete so weit draußen im Grenzland wenig – diese großen, leeren Flächen, sagte Anders, ließen Politik unwichtig erscheinen. Von praktischer Bedeutung waren nur die entsetzlichen Veränderungen im Stamm der Wölfe gewesen; doch da die meisten der bösen Wölfe in das Andere Land abwanderten, spielte selbst das keine große Rolle.
    Aber dann, nicht lange, nachdem die Nachricht von der Krankheit der Königin so weit nach Westen vorgedrungen war, hatte Morgan einen Trupp grotesker, verkrüppelter Sklaven aus den weiter ostwärts liegenden Erzgruben hier herausgeschickt; die Wärter dieser Sklaven waren Wölfe und andere, noch unheimlichere Geschöpfe. Sie unterstanden einem entsetzlichen Mann mit einer Peitsche; als die Arbeit begann, war er fast ständig dagewesen, aber dann war er verschwunden. Anders, der sich den größten Teil dieser grauenhaften Wochen und Monate in seinem Haus verkrochen hatte, das ungefähr acht Kilometer südlich von hier lag, hatte aufgeatmet, als er wieder verschwand. Er hatte Gerüchte gehört, dass Morgan den Mann mit der Peitsche wieder nach Osten beordert hatte, wo sich weittragende Entscheidungen anbahnten. Anders wusste nicht, ob das zutraf oder nicht. Er war nur froh darüber, dass dieser Mann, der gelegentlich von einem hageren, irgendwie widerwärtigen kleinen Jungen begleitet wurde, nicht mehr da war.
    »Und sein Name?« fragte Jack. »Wie hieß er?«
    »Ich weiß es nicht, Herr. Bei den Wölfen hieß er Der mit der Peitsche. Für die Sklaven war er nur der Teufel. Ich würde sagen, sie hatten beide recht.«
    »Trug er stutzerhafte Kleidung? Lederjacken mit funkelnden Knöpfen? Vielleicht Schuhe mit aufgesetzten Schnallen?«
    Anders nickte.
    »Benutzte er massenhaft starkes Parfüm?«
    »Ja! Genau das tat er!«
    »Und die Peitsche endete in Ledersträngen mit Metallspitzen?«
    »Ja, Herr. Eine fürchterliche Peitsche. Und er konnte grauenhaft gut mit ihr umgehen.«
    Es war Osmond. Es war Sunlight Gardener. Er war hier, überwachte eines von Morgans Projekten – und dann wurde die Königin krank, und Osmond wurde in den Sommerpalast zurückbeordert, wo ich seine reizende Bekanntschaft machte.
    »Sein Sohn«, sagte Jack. »Wie sah sein Sohn aus?«
    »Nur Haut und Knochen«, sagte Anders langsam. »Ein Auge war verschwommen. Das ist alles, woran ich mich erinnere. Der Sohn des Peitschenmannes war schlecht zu sehen, Herr. Die Wölfe schienen ihn noch mehr zu fürchten als seinen Vater, obwohl der Sohn keine Peitsche hatte. Sie sagten, er wäre trübe.«
    »Trübe«, wiederholte Jack nachdenklich.
    »Ja. Es ist ihr Wort für jemanden, der schlecht zu sehen ist, so genau man auch hinschaut. Unsichtbarkeit ist unmöglich, das jedenfalls sagen die Wölfe –, aber jemand, der den Trick kennt, kann sich trübe machen. Die meisten Wölfe kennen ihn, und dieser kleine Hurensohn kannte ihn auch. Und deshalb erinnere ich mich nur daran, wie mager er war, und an das verschwommene Auge und daran, dass er so hässlich war wie schwarze, syphilitische Sünde.«
    Anders hielt einen Moment inne.
    »Er liebte es, andere Geschöpfe zu quälen. Kleine Geschöpfe. Er verzog sich mit ihnen unter die Veranda, und dann hörte ich die entsetzlichsten Schreie …« Anders schauderte. »Das war einer der Gründe, weshalb ich in meinem Haus blieb. Ich kann es nicht ertragen, wenn kleine Tiere vor Schmerzen schreien. Mir wird dabei immer ganz elend zumute.«
    Alles, was Anders sagte, warf in Jacks Gedanken hundert neue Fragen auf. Vor allem hätte er gern alles gehört, was Anders über die Wölfe wusste – schon ihre Erwähnung löste in ihm ein Gefühl aus, in dem sich Freude und ein tiefes Verlangen nach seinem Wolf mischten.
    Aber die Zeit war knapp; dieser Mann sollte sich am Morgen auf die Reise nach Westen und ins Verheerte Land machen, eine von Morgan angeführte Horde verrückter Schüler und Lehrer konnte jeden Augenblick aus dem, was der alte Stallbursche das Andere Land nannte, hierher durchbrechen, Richard konnte aufwachen und wissen wollen, wer dieser Morgan war, von dem sie redeten, und wer dieser trübe Junge war – dieser trübe Junge, der eine verdächtige Ähnlichkeit mit dem hatte, der im Nelson House das Zimmer neben seinem bewohnte.
    »Sie kamen also«, drängte er, »sein Trupp kam, und Osmond war ihr Oberaufseher – zumindest, bis er abberufen wurde oder in Indiana bei der Abendandacht in Erscheinung treten musste …«
    »Herr?«

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