Der Talisman
einer angreifenden Schlange in ihrem Bett hoch und spuckte ihm ins Gesicht.
»Miststück!« Er fuhr zurück und tastete nach seinem Taschentuch, während ihm die Spucke die Wange hinabrann.
»Wenn das Zeug so wunderbar ist, warum musst du dich dann ins Badezimmer schleichen, um es zu nehmen? Antworte nicht, lass mich in Ruhe. Ich will dich nicht wieder sehen, Sloat. Heb deinen fetten Arsch und verschwinde.«
»Du wirst einsam sterben, Lily«, sagte er, jetzt perverserweise von einer harten, kalten Freude erfüllt. »Du wirst einsam sterben, und dieses blöde kleine Nest wird dir ein Armenbegräbnis geben, und dein Sohn wird auch sterben, weil er dem, was ihm bevorsteht, nicht gewachsen ist, und niemand wird je wieder etwas von euch hören.« Er grinste sie an. Seine fetten Hände waren zu haarigen weißen Fäusten geballt. »Erinnerst du dich an Asher Dondorf, Lily? Unseren Klienten? Der in der Serie Flanagan und Flanagan den Hauswirt spielte? Vor ein paar Wochen stand etwas über ihn im Hollywood Reporter. Er wollte sich in seinem Wohnzimmer erschießen, aber er hat saumäßig gezielt, denn anstatt sich umzubringen, hat er nur sein Gaumendach zerschmettert, und jetzt liegt er im Koma. Und das kann Jahre dauern, habe ich gehört, Jahre, in denen er langsam verrottet.« Er beugte sich über sie, und seine Stirn legte sich in Falten. »Ich glaube, du und Asher, ihr habt eine Menge gemeinsam.«
Sie sah ihn unverwandt an. Ihre Augen schienen in ihren Kopf zurückgesunken zu sein, und in diesem Augenblick hatte sie viel Ähnlichkeit mit einer zähen alten Grenzerfrau mit der Schrotflinte in der einen und der Bibel in der anderen Hand. »Mein Sohn wird mir das Leben retten«, sagte sie. »Jack wird mir das Leben retten, und du kannst ihn nicht daran hindern.«
»Das findet sich«, erwiderte Sloat. »Das muss sich erst noch herausstellen.«
Fünfunddreißigstes Kapitel
Das Verheerte Land
1
»Aber begibst du dich nicht in Gefahr, Herr?« fragte Anders und kniete vor Jack nieder; sein weiß-roter Kilt bauschte sich um ihn wie ein Rock.
»Jack?« fragte Richard mit einer Stimme, die nicht mehr war als ein dünnes, weinerliches Quietschen.
»Würdest du dich nicht in Gefahr begeben?« fragte Jack.
Anders drehte seinen großen weißen Kopf zur Seite und blinzelte zu Jack hinauf, als hätte er ihm ein Rätsel aufgegeben. Er sah aus wie ein großer, verwirrter Hund.
»Ich will damit sagen, dass die Gefahr für mich ebenso groß ist, wie sie für dich sein würde, das ist alles.«
»Aber, Herr …«
»Jack?« ertönte wieder Richards quengelige Stimme. »Ich bin eingeschlafen, und jetzt müsste ich eigentlich wach sein, aber wir sind noch immer an diesem merkwürdigen Ort, also träume ich noch immer … aber ich will wach sein, Jack, ich will das nicht mehr träumen. Nein. Ich will nicht.«
Und deshalb hast du deine verdammte Brille zerbrochen, dachte Jack. Dann sagte er: »Das ist kein Traum, Richieboy. Wir machen uns auf die Reise. Wir fahren mit einem Zug.«
»Hä?« sagte Richard, rieb sich das Gesicht und setzte sich auf. Wenn Anders einem großen weißen, mit einem Rock bekleideten Hund ähnelte, dann hatte Richard mit nichts so viel Ähnlichkeit wie mit einem aus tiefem Schlaf erwachten Säugling.
»Oh, Herr Jason«, sagte Anders. Jetzt sah es aus, als wäre er den Tränen nahe – Tränen der Erleichterung, dachte Jack. »Ist das dein Wille? Ist es dein Wille, diese Teufelsmaschine durch das Verheerte Land zu fahren?«
»Das ist es«, sagte Jack.
»Wo sind wir?« fragte Richard. »Bist du sicher, dass sie uns nicht folgen?«
Jack drehte sich zu ihm um. Richard saß auf dem welligen gelben Fußboden, blinzelte verständnislos, noch immer von einem Nebel des Entsetzens eingehüllt. »Okay«, sagte er. »Ich werde deine Fragen beantworten. Wir sind in einem Gebiet der Region, das Ellis-Breaks genannt wird …«
»Ich habe Kopfweh«, sagte Richard. Er schloss die Augen.
»Und«, fuhr Jack fort, »wir werden den Zug dieses Mannes besteigen und mit ihm durch das ganze Verheerte Land bis zum schwarzen Hotel fahren – oder so nahe heran wie möglich. So liegen die Dinge, Richard. Glaub’s oder lass es bleiben. Und je eher wir das tun, desto eher können wir uns von den Geschöpfen absetzen, die hinter uns her sind.«
»Etheridge«, flüsterte Richard. »Mr. Dufrey.« Er ließ den Blick im Innern des altersschwachen Gebäudes herumwandern, als erwartete er, ihre Verfolger jeden Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher