Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
Vom Netzwerk:
Auf Anders’ Gesicht malten sich wieder Erstaunen und Verblüffung.
    »Sie kamen, und sie bauten – was?« Er war sicher, die Antwort auf diese Frage bereits zu kennen, aber er wollte sie von Anders hören.
    »Die Schienen natürlich«, sagte Anders. »Die Schienen, die nach Westen ins Verheerte Land führen. Die Schienen, auf denen ich morgen selbst fahren muss.« Er schauderte.
    »Nein«, sagte Jack. Eine entsetzlich heiße Erregung explodierte in seiner Brust wie eine Sonne, und er stand auf. Wieder verspürte er das Klicken in seinem Kopf, dieses unabweisbare Gefühl, dass große Dinge zusammentrafen.
    Ein grandioses, strahlendes Licht erhellte Jacks Gesicht. Anders stürzte auf die Knie. Das Geräusch weckte Richard, der sich verschlafen aufsetzte.
    »Nicht du«, sagte Jack. »Ich. Und er.« Er deutete auf Richard.
    »Jack?« Richard sah ihn schläfrig verwirrt mit seinen kurzsichtigen Augen an. »Wovon redest du? Und warum schnüffelt dieser Mann auf dem Fußboden herum?«
    »Herr – natürlich hast du zu bestimmen –, aber ich verstehe nicht …«
    »Nicht du«, sagte Jack. »Wir. Wir fahren den Zug für dich.«
    »Aber warum, Herr, warum?« stammelte Anders, der noch immer nicht aufzublicken wagte.
    Jack Sawyer schaute hinaus in die Dunkelheit.
    »Weil ich glaube«, sagte er, »dass es am Ende dieser Schienen – an ihrem Ende oder nicht weit davon entfernt – etwas gibt, das ich holen muss.«

 
Zwischenspiel
     
    Sloat in dieser Welt (IV)
     
    Am zehnten Dezember saß ein dick vermummter Morgan Sloat auf dem unbequemen Holzstuhl neben Lily Sawyers Bett; er fror und hatte deshalb seinen dicken Kaschmirmantel eng um sich gezogen und die Hände tief in den Taschen vergraben. Dennoch fühlte er sich wesentlich wohler, als seine Erscheinung vermuten ließ. Lily war dem Tode nahe. Sie war auf dem Weg zu jenem Ort, von dem es keine Rückkehr gab, selbst dann nicht, wenn man eine Königin in einem Bett von der Größe eines Footballplatzes war.
    Lilys Bett war nicht so großartig, und sie hatte nichts Königliches an sich. Die Krankheit hatte ihr die einstige Schönheit geraubt, sie hatte ihr Gesicht abmagern lassen und sie zwanzig Jahre älter gemacht. Sloat ließ seine Augen zufrieden über die vorstehenden Wangenknochen wandern, über die schildpattähnliche Haut auf ihrer Stirn. Ihr abgezehrter Körper zeichnete sich kaum noch unter den Laken und Decken ab. Sloat wusste, dass das Alhambra gut dafür bezahlt worden war, sich nicht um Lily Cavanaugh Sawyer zu kümmern; er selbst war es gewesen, der dafür bezahlt hatte. Ihr Zimmer wurde nicht mehr geheizt. Sie war der einzige Hotelgast. Außer dem Portier und dem Koch bestand das Personal nur noch aus drei portugiesischen Zimmermädchen, die ihre gesamte Zeit mit dem Putzen der Halle verbrachten – es mussten die Mädchen gewesen sein, die Lily reichlich mit Decken versorgt hatten. Sloat selbst hatte die Suite auf der anderen Seite des Korridors gemietet und den Portier und die Mädchen angewiesen, ihn regelmäßig über Lilys Befinden zu informieren.
    Um zu sehen, ob sie die Augen öffnen würde, sagte er: »Du siehst besser aus, Lily. Ich glaube tatsächlich, ich sehe Anzeichen der Besserung.«
    Nur ihre Lippen bewegend, sagte Lily: »Ich weiß nicht, warum du dich auf einmal so menschlich gibst, Sloat.«
    »Ich bin der beste Freund, den du hast«, erwiderte Sloat.
    Jetzt schlug sie die Augen auf; sie waren nicht so trüb, wie er es gern gehabt hätte. »Scher dich hier raus«, flüsterte sie. »Du bist widerlich.«
    »Ich versuche nur, dir zu helfen, und ich wollte, du würdest dir das ins Gedächtnis rufen. Ich habe alle Papiere, Lily. Du brauchst sie nur zu unterschreiben. Wenn du das getan hast, ist für dich und deinen Sohn gesorgt, solange ihr lebt.« Sloat musterte Lily mit einem Ausdruck zufriedener Schwermut. »Ich hatte übrigens nicht viel Glück bei meinen Versuchen, Jack aufzuspüren. Hast du in letzter Zeit mit ihm telefoniert?«
    »Du weißt genau, dass ich das nicht getan habe«, sagte sie. Und weinte nicht, wie er gehofft hatte.
    »Ich finde wirklich, der Junge sollte hier sein. Du etwa nicht?«
    »Verpiß dich«, sagte Lily.
    »Ich glaube, ich werde tatsächlich das Badezimmer benutzen, wenn du nichts dagegen hast«, sagte er und stand auf. Lily schloss wieder die Augen und ignorierte ihn. »Ich hoffe trotzdem, dass ihm nichts passiert«, sagte Sloat, während er langsam am Bett entlangwanderte. »Jungen, die auf den Straßen

Weitere Kostenlose Bücher