Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
Vom Netzwerk:
Münze, die Hauptmann Farren ihm gegeben hatte, die Münze, die anzunehmen Anders sich geweigert hatte.
    Seine Hand fuhr in die Tasche. Die Münze fühlte sich in seiner Hand an wie ein Brocken Erz – er schloss die Faust darum und spürte, wie starke Stöße von Energie ihn durchpulsten. Reuel spürte es auch. Aus seinem triumphierenden Sabbern und Grunzen wurde Angstgewimmer. Er versuchte zurückzuweichen, und das eine noch vorhandene Auge rollte entsetzt.
    Jack zog die Münze heraus. Sie fühlte sich rotglühend an. Er spürte die Hitze – aber sie verbrannte ihn nicht.
    Das Profil der Königin strahlte wie die Sonne.
    »In ihrem Namen, du widerliche Missgeburt!« schrie Jack. »Verschwinde vom Angesicht dieser Erde!« Er öffnete die Faust und hieb die Hand auf Reuels Stirn.
    Reuel und sein Vater schrien gleichzeitig – Osmond in einer Mittellage zwischen Tenor und Sopran, Reuel im summendem Bass eines Insekts. Die Münze glitt in Reuels Stirn wie ein glühender Schürhaken in ein Fass mit Butter. Eine übel riechende, dunkle Flüssigkeit von der Farbe von Tee, der zu lange gezogen hat, rann aus Reuels Kopf und über Jacks Handgelenk. Die Flüssigkeit war heiß, winzige Würmer schwammen in ihr. Sie wanden und schlängelten sich. Er spürte, wie sie zubissen. Dennoch drückte er mit Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand kräftiger zu, drückte die Münze tiefer in den Kopf des Ungeheuers hinein.
    »Verschwinde vom Angesicht dieser Erde, du Abschaum! Im Namen der Königin und im Namen ihres Sohnes, verschwinde vom Angesicht dieser Erde!«
    Es kreischte und heulte. Osmond kreischte und heulte mit ihm. Die Verstärkungen hatten Halt gemacht und drängten sich hinter Osmond zusammen; abergläubisches Entsetzen lag auf ihren Gesichtern. Ihnen war, als wäre Jack größer geworden, als ginge ein helles Licht von ihm aus.
    Reuel zuckte. Stieß noch einen weiteren gurgelnden Schrei aus. Das schwarze Zeug, das aus seinem Kopf floss, färbte sich gelb. Ein letzter Wurm, lang, fett und weiß, wand sich aus dem Loch heraus, das die Münze hinterlassen hatte. Er fiel auf den Boden des Führerhauses. Jack trat darauf. Unter seinem Absatz platzte er auf und verspritzte. Reuel sank zu einem nassen Haufen zusammen.
    Jetzt brach in dem staubigen Lager ein derart schrilles Schmerz- und Wutgeheul los, dass Jack dachte, sein Schädel müsse zerspringen. Richard hatte sich wie ein Fetus zusammengerollt und die Arme um den Kopf geschlungen.
    Osmond heulte. Er hatte seine Peitsche und die Maschinenpistole fallen gelassen.
    »Du Unflat!« heulte er und drohte Jack mit den Fäusten. »Was hast du getan? Oh, du unflätiger, schlechter Junge! Ich hasse dich, ich hasse dich bis in alle Ewigkeit und darüber hinaus! Oh, du unflätiger Heuchler! Ich bring dich um! Morgan bringt dich um! Oh, mein geliebter, mein einziger Sohn! DU UNFLAT! MORGAN WIRD DICH TÖTEN FÜR DAS, WAS DU GETAN HAST! MORGAN …!«
    Die anderen nahmen den Schrei mit flüsternden Stimmen auf, die Jack an die Jungen im Sunlight-Heim erinnerten – Bekomme ich ein Halleluja? Und dann verstummten sie, denn ein anderes Geräusch wurde hörbar.
    Jack fühlte sich sofort in den behaglichen Nachmittag zurückversetzt, den er mit Wolf verbracht hatte, als sie beide am Fluss saßen und zusahen, wie die Herde graste und trank, während Wolf von seiner Familie erzählte. Der Nachmittag war behaglich gewesen – bis Morgan kam.
    Und jetzt kam Morgan abermals – er flippte nicht, sondern erzwang sich seinen Weg in einem Akt der Gewalt.
    »Morgan! Es ist …«
    »Morgan, Herr …«
    »Herr von Orris …«
    »Morgan … Morgan … Morgan …«
    Das reißende Geräusch schwoll an. Die Wölfe warfen sich in den Staub. Osmond tänzelte wie ein Wahnsinniger, und seine schwarzen Stiefel traten die mit Metallspornen besetzten Lederstränge seiner Peitsche in den Staub.
    »Schlechter Junge! Unflätiger Junge! Jetzt wirst du es büßen! Morgan kommt! Morgan kommt!«
    Ungefähr fünf Meter rechts von Osmond begann die Luft zu verschwimmen und zu flimmern wie die Luft über einem heißen Verbrennungsofen.
    Jack sah sich um, stellte fest, dass Richard in dem Haufen Maschinenpistolen, Magazine und Handgranaten zusammengerollt lag wie ein kleiner Junge, der beim Kriegspielen eingeschlafen ist. Aber er wusste, dass Richard nicht schlief; und dies war kein Spiel – wenn Richard sah, wie sein Vater aus einem Loch zwischen den Welten zum Vorschein kam, würde er den Verstand verlieren.
    Jack

Weitere Kostenlose Bücher