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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Bahnen, auf denen man laufen, den Hürden, die man überspringen, den Tauen, an denen man klettern konnte. Aber Point Venuti selbst hatte er nicht gemocht. Nach längerem Nachdenken fiel Richard sogar der Name des Motels wieder ein, in dem er und sein Vater immer gewohnt hatten, wenn sie sich in dem Küstenstädtchen aufhielten. Das Kingsland-Motel, sagte er und Jack stellte fest, dass ihn dieser Name nicht sonderlich überraschte.
    Das Kingsland-Motel, sagte Richard, war nicht weit von dem alten Hotel entfernt, für das sich sein Vater immer sehr zu interessieren schien. Richard konnte das Hotel von seinem Fenster aus sehen, und es gefiel ihm nicht. Es war ein riesiges, weitläufiges Gebäude mit Türmchen und Giebeln und Erkern und Kuppeln; überall drehten sich merkwürdig geformte Wetterfahnen aus Messing. Sie drehten sich sogar, wenn kein Wind ging, sagte Richard – er erinnerte sich ganz deutlich, wie er am Fenster seines Zimmers gestanden und zugesehen hatte, wie sie sich drehten, eigenartige Messinggebilde in der Form von Halbmonden, Skarabäen und chinesischen Symbolen, die in der Sonne schimmerten, während unter ihnen das Meer schäumte und toste.
    Das kommt mir alles sehr bekannt vor, dachte Jack.
    »Es war leer?« fragte Jack.
    »Ja. Es stand zum Verkauf.«
    »Wie hieß es?«
    »Das Agincourt.« Richard hielt inne, dann fügte er eine weitere Kinderfarbe hinzu – die Farbe, die die meisten Kinder nur selten verwenden. »Es war schwarz. Es war aus Holz gebaut, aber das Holz sah aus wie Stein. Alter schwarzer Stein. Und deshalb nannten mein Vater und seine Freunde es das schwarze Hotel.«
     
    11
     
    Teils – aber nicht ausschließlich – um Richard abzulenken, fragte Jack: »Hat dein Vater das Hotel gekauft? So wie er Camp Readiness kaufte?«
    Richard dachte eine Weile nach, dann nickte er. »Ja«, sagte er, »ich glaube schon. Nach einiger Zeit. Als wir die ersten Male hinkamen, hing ein Schild mit der Aufschrift ZU VERKAUFEN am Tor, aber bei einem unserer späteren Besuche war es einfach verschwunden.«
    »Aber ihr habt nie darin gewohnt?«
    »Großer Gott, nein!« Richard schauderte. »Um mich da hineinzubekommen, hätte er mich an einer Kette hineinschleifen müssen – und selbst damit hätte er es wahrscheinlich nicht geschafft.«
    »Du bist nie drinnen gewesen?«
    »Nein. Ich war nie drinnen, und ich werde nie hineingehen.«
    Oh, Richieboy, hat man Air nicht beigebracht, dass man niemals nie sagen soll?
    »Gilt das auch für deinen Vater? Ist er auch nie drinnen gewesen?«
    »Meines Wissens nicht«, sagte Richard mit fast professoraler Stimme. Sein Zeigefinger fuhr zum Nasenrücken empor, als wollte er die Brille hochschieben, die nicht mehr daraufsaß. »Ich würde sogar wetten, dass er nie hineinging. Er hatte ebenso viel Angst davor wie ich. Bei mir war das alles – ich hatte einfach Angst. Aber bei meinem Vater steckte mehr dahinter. Er war …«
    »Was war er?«
    Widerstrebend sagte Richard: »Ich glaube, er war von dem Ding besessen.«
    Richard hielt inne, den Blick ins Leere gerichtet, erinnerte sich. »Wenn wir in Point Venuti waren, ging er jeden Tag hinüber und blieb davor stehen. Und das nicht nur ein paar Minuten oder so – manchmal blieb er drei Stunden davor stehen. Manchmal noch länger. Die meiste Zeit war er allein. Aber nicht immer. Er hatte – merkwürdige Freunde.«
    »Wölfe?«
    »Vermutlich«, sagte Richard fast wütend. »Ja, einige von ihnen mögen Wölfe gewesen sein oder wie immer man sie nennen will. Sie sahen aus, als fühlten sie sich nicht wohl in ihrer Kleidung – sie kratzten sich ständig, gewöhnlich an den Stellen, an denen sich anständige Leute nicht kratzen sollten. Andere sahen aus wie der falsche Trainer. Irgendwie hart und niederträchtig. Einige von ihnen habe ich auch in Camp Readiness gesehen. Und lass dir gesagt sein, Jack – diese Kerle hatten noch mehr Angst vor dem schwarzen Hotel als mein Vater. Sie krümmten sich regelrecht, wenn sie in seine Nähe kamen.«
    »Und Sunlight Gardener? War er auch dabei?«
    »Ja«, sagte Richard. »Aber in Point Venuti sah er eher aus wie der Mann, der da drüben war …«
    »Wie Osmond.«
    »Ja. Aber diese Leute kamen nicht sehr oft. Meist war da nur mein Vater. Gelegentlich ging er ins Restaurant unseres Motels und ließ sich ein paar Sandwichs einpacken; dann setzte er sich draußen auf eine Bank und betrachtete das Hotel, während er sie verzehrte. Ich stand in der Halle vom Kingsland und sah vom Fenster

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