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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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Bogen um einen der unheimlich aussehenden Bäume (der nicht einmal Strauchhöhe hatte) und ging auf die Straße zu. Hohes Gras und Unkraut schlugen an seine von der langen Reise arg mitgenommenen Jeans. Irgendetwas in dem Schuppen – Morgan Sloats früherer Privatbahnstation – bewegte sich und gab ein widerwärtig glitschendes Geräusch von sich, aber Jack warf nicht einmal einen Blick darauf.
    Er erreichte die Straße, überquerte sie und trat an die Kante.
     
    13
     
    Mitte Dezember des Jahres 1981 stand ein Junge namens Jack Sawyer da, wo Wasser und Land zusammentreffen, die Hände in den Taschen seiner Jeans, und blickte hinaus auf die Weite des Pazifik. Er war zwölf Jahre alt und sah für sein Alter außergewöhnlich gut aus. Sein braunes Haar war lang – ein wenig zu lang –, aber der Seewind wehte es ihm aus der klaren Stirn. Er stand da und dachte an seine Mutter, die starb, an Freunde, abwesende und anwesende, und an Welten innerhalb von Welten, die sich auf ihren Bahnen bewegten.
    Ich habe meinen Weg gemacht, dachte er und zitterte. Mit Travelling Jack Sawyer von Küste zu Küste. Plötzlich füllten sich seine Augen mit Tränen. Dann atmete er tief das Salz ein. Hier war er nun – und der Talisman war nahe.
    »Jack!«
    Zuerst drehte sich Jack nicht um; der Pazifik hielt seinen Blick gefangen, das Sonnenlicht, das golden auf den Wellenkämmen funkelte. Er war da; er hatte es geschafft. Er …
    »Jack!«
    »Was?«
    »Sieh mal!« keuchte Richard und zeigte die Straße hinunter, in die Richtung, in der Point Venuti liegen mochte. »Sieh dir das an!«
    Jack tat es. Er verstand Richards Überraschung, verspürte aber selbst keine – jedenfalls nicht mehr, als er verspürt hatte, als Richard ihm den Namen des Motels nannte, in dem er und sein Vater in Point Venuti gewohnt hatten. Nein, kaum Überraschung, aber …
    Aber es tat verdammt gut, seine Mutter wieder zu sehen.
    Ihr Gesicht war drei Meter hoch, und es war jünger, als Jack es in Erinnerung hatte. Es war Lily auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Ihr prachtvoll messingblondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und auf ihrem Gesicht lag das unverwechselbare, unbekümmerte Geh-zum- Teufel-Lächeln. Niemand sonst hatte im Film je so gelächelt. Sie harte das Lächeln erfunden, und sie besaß noch immer das Patent darauf. Sie blickte über eine nackte Schulter zurück. Auf Jack – auf Richard – auf den blauen Pazifik.
    Es war seine Mutter – doch als er blinzelte, ging in dem Gesicht eine Veränderung vor. Die Linie von Kinn und Kiefer wurde runder, die Wangenknochen traten weniger deutlich hervor, das Haar wurde dunkler, die Augen noch tiefer blau. Jetzt war es das Gesicht von Laura DeLoessian, der Mutter Jasons. Jack blinzelte abermals, und es war wieder seine Mutter – seine Mutter mit achtundzwanzig, mit ihrem einzigartigen Lächeln die ganze Welt herausfordernd.
    Es war eine Reklametafel. An ihrer oberen Kante stand:
     
    DRITTES JÄHRLICHES B-FILM-FESTIVAL
    POINT VENUTI, KALIFORNIEN
    BITKER THEATER
    10. BIS 20. DEZEMBER
    DIESES JAHR FILME MIT LILY CAVANAUGH
    »KÖNIGIN DES B-FILMS«
     
    »Jack, das ist deine Mutter«, sagte Richard. Seine Stimme war heiser vor Ehrfurcht. »Ist das nur ein Zufall? Das kann doch keiner sein, oder?«
    Jack schüttelte den Kopf. Nein, das war kein Zufall.
    Das Wort, von dem er die Augen nicht abwenden konnte … Es war das Wort KÖNIGIN.
    »Komm«, sagte er zu Richard. »Ich glaube, wir sind bald da.«
    Gemeinsam wanderten sie die Straße hinab auf Point Venuti zu.

 
Achtunddreißigstes Kapitel
     
    Das Ende der Straße
     
    1
     
    Während sie weitergingen, musterte Jack Richards kraftlose Haltung und sein schweißglänzendes Gesicht. Richard sah aus, als hielte ihn nur seine Willenskraft aufrecht. Auf seinem Gesicht waren noch mehr nässende Pickel erschienen.
    »Bist du okay, Richie?«
    »Nein. Mir ist gar nicht gut. Aber ich kann noch laufen, Jack. Du brauchst mich nicht zu tragen.« Er senkte den Kopf und trabte verbissen weiter. Jack sah, dass sein Freund, der so viele Erinnerungen hatte an diesen eigentümlichen kleinen Zug und die eigentümliche kleine Station, erheblich schwerer an der Realität litt, wie sie sich jetzt darbot – verrostete Schienen, zerbrochene Schwellen, Unkraut, Giftsumach … und schließlich ein baufälliges Gebäude, von dem all die helle Farbe abgeblättert war, an die er sich erinnern mochte, ein Gebäude, in dessen Dunkel etwas Widerwärtiges herumglitt.
    Mir

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