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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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war so betrunken, dass sie über die Seitenwand gefallen und in den Graben gestürzt wäre – und sich dabei vermutlich den Hals gebrochen hätte –, wenn nicht eine andere sie hinten am Rock gepackt und grob wieder heruntergezerrt hätte.
    Jack errötete wieder: er sah die große weiße Brust der jungen Frau vor sich, die Warze im Mund des schmutzigen Säuglings. Oooh, dieser hübsche junge Mann ist schüchtern!
    »Gott!« murmelte Farren und schritt noch schneller aus als zuvor. »Sie sind alle betrunken. Betrunken von verschüttetem Kingsland! Die Huren ebenso wie der Kutscher! Sollte mich nicht wundern, wenn er den Wagen auf der Straße umstürzen ließe oder ihn über die Klippen lenkte – kein großer Verlust. Kranke Huren!«
    »Immerhin«, keuchte Jack, »muss die Straße doch halbwegs passierbar sein, wenn all diese Wagen durchkommen können, oder?«
    Sie waren jetzt im Dorf All-Hands. Hier war die breite Weststraße geölt worden, damit die Fahrzeuge keinen Staub aufwirbelten. Wagen kamen und gingen, Menschengruppen überquerten die Straße, und alle schienen zu laut zu reden. Jack sah zwei Männer, die vor etwas, das ein Wirtshaus sein mochte, miteinander stritten. Plötzlich versetzte der eine dem anderen einen Schlag, und einen Augenblick später lagen beide Männer am Boden. Die Huren sind nicht die einzigen, die sich am Kingsland betrunken haben, dachte Jack. Ich glaube, hier im Dorf hat jeder sein Teil gehabt.
    »Die großen Wagen, die an uns vorüberfuhren, kamen alle von hier«, sagte Hauptmann Farren. »Ein paar von den kleineren kommen vielleicht durch. Aber Morgans Kutsche ist nicht klein, mein Junge.«
    »Morgan …«
    »Lassen wir Morgan jetzt aus dem Spiel.«
    Als sie das Zentrum des Dorfes passiert hatten und es am anderen Ende wieder verließen, wurde der Biergeruch immer durchdringender. Jacks Beine schmerzten; er hatte Mühe, mit dem Hauptmann Schritt zu halten. Er schätzte, dass sie inzwischen etwa fünf Kilometer zurückgelegt hatten. Wie weit ist das in meiner Welt? fragte er sich, und der Gedanke erinnerte ihn an Speedys Zaubersaft. Er griff in sein Wams und suchte verzweifelt, überzeugt, dass die Flasche verschwunden war – aber sie war da, steckte sicher in der Tasche seiner weiten Hose.
    Sobald sie sich westlich des Dorfes befanden, kamen ihnen weniger Wagen entgegen, aber die Zahl der Fußgänger, die ihnen entgegenkamen, nahm rapide zu. Die meisten Fußgänger schwankten, torkelten, lachten. Alle rochen nach Bier. Einige hatten tropfnasse Kleider an, als hätten sie der Länge nach daringelegen und es aufgeschleckt wie Hunde. Wahrscheinlich, vermutete Jack, hatten sie genau das getan. Er sah einen lachenden Mann, der einen lachenden Jungen von vielleicht acht Jahren an der Hand führte. Der Mann hatte eine alptraumhafte Ähnlichkeit mit dem widerlichen Tagesportier des Alhambra, und Jack wurde schlagartig klar, dass dieser Mann der Twinner des Portiers sein musste. Er und der Junge, den er an der Hand führte, waren betrunken, und als Jack sich nach ihnen umdrehte, fing der Junge gerade an, sich zu übergeben. Sein Vater – zumindest vermutete Jack, dass es sein Vater war – riss ihn grob am Arm, als der Junge versuchte, ins Gestrüpp des Straßengrabens zu taumeln, wo er in relativer Abgeschiedenheit speien konnte. Der Junge wurde zu seinem Vater zurückgerissen wie ein Straßenköter an einer kurzen Leine und spritzte Erbrochenes auf einen ältlichen Mann, der am Straßenrand zusammengesunken war und dort schnarchte.
    Hauptmann Farrens Gesicht wurde immer düsterer. »Gott strafe sie alle«, sagte er.
    Selbst die Betrunkensten wichen respektvoll vor dem narbengesichtigen Hauptmann zurück. Im Wachzelt außerhalb des Pavillons hatte er sich eine kurze, praktische Lederscheide umgegürtet. Jack vermutete (wohl nicht zu Unrecht), dass sie ein kurzes, praktisches Schwert enthielt. Wenn ihm einer der Säufer zu nahe kam, berührte der Hauptmann das Schwert, und der Säufer machte rasch einen großen Bogen um ihn.
    Zehn Minuten später – als Jack sich nicht mehr imstande fühlte, Schritt zu halten – hatten sie die Unfallstelle erreicht. Der Kutscher war um die Innenseite der Kurve gebogen, als der Wagen kippte und umstürzte. Die Folge war, dass die Fässer über die ganze Straße gerollt waren. Viele von ihnen waren zerbrochen, und auf sechs Meter war die Straße ein Morast. Ein Pferd lag tot unter dem Wagen, nur seine Hinterbeine waren zu sehen. Ein zweites lag im Graben,

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