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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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und aus seinem Ohr ragte eine zersplitterte Fassdaube. Jack hielt es für unwahrscheinlich, dass sie zufällig dahingelangt war. Wahrscheinlich war das Pferd schwer verletzt gewesen, und jemand hatte es mit dem naheliegendsten Mittel von seinen Qualen erlöst. Die beiden anderen Pferde waren nirgends zu sehen.
    Zwischen dem Pferd unter dem Wagen und dem im Graben lag der Sohn des Kutschers auf der Straße. Eine Hälfte seines Gesichtes starrte mit einem Ausdruck fassungslosen Erstaunens zum leuchtendblauen Himmel empor. Wo die andere Hälfte gewesen war, war jetzt nur ein roter Brei mit weißen Knochensplittern, die aussahen wie Gipsklümpchen.
    Jack sah, dass man seine Taschen nach außen gestülpt hatte.
    An der Unfallstelle hielt sich vielleicht ein Dutzend Leute auf. Sie wanderten langsam herum, bückten sich oft, um beidhändig Bier aus einem Hufabdruck zu schöpfen oder ein Taschentuch oder ein Stück Hemd in eine andere Pfütze zu tauchen. Die meisten von ihnen torkelten. Nach langem Betteln hatte seine Mutter ihm einmal erlaubt, mit Richard eine Mitternachts-Doppelvorstellung von Night of the Living Dead und Dawn of the Dead in einem Kino in Westwood zu besuchen. Die schlurfenden, volltrunkenen Leute hier erinnerten ihn an die Zombies in diesen beiden Filmen.
    Hauptmann Farren zog sein Schwert. Es war so kurz und praktisch, wie Jack es sich vorgestellt hatte, das genaue Gegenstück zu einem Schwert in einer romantischen Geschichte. Es war kaum länger als ein kräftiges Schlachtermesser, schartig, narbig und zerkratzt, das Heft mit dunkel verschwitztem Leder überzogen. Auch die Klinge war dunkel – bis auf die Schneide. Die sah frisch und glänzend aus – und sehr scharf.
    »Verschwindet, Leute!« rief Farren. »Fort vom Bier der Königin, gottverhämmertes Pack! Verschwindet und schert euch dahin, wo ihr hingehört!«
    Sie reagierten mit verdrossenem Murren, aber sie wichen vor Hauptmann Farren zurück – bis auf einen Koloss von einem Mann, auf dessen sonst kahlem Schädel aufs Geratewohl einzelne Haarbüschel sprossen. Jack schätzte sein Gewicht auf fast hundertfünfzig Kilo, seine Größe auf etwas über zwei Meter.
    »Hättest wohl Lust, uns alle zu verhaften, Soldat?« fragte der Koloss und wies auf die Gruppe von Dorfbewohnern, die sich auf Farrens Befehl hin aus dem Biersumpf zurückgezogen hatten.
    »Gewiss«, sagte Hauptmann Farren und grinste den großen Mann an. »Dazu habe ich durchaus Lust, vorausgesetzt, du bist der erste, du großer besoffener Klumpen Scheiße.« Farrens Grinsen wurde breiter, und der große Mann wich vor seiner gefährlichen Kraft zurück. »Versuch dein Glück, wenn du willst. Dich in Stücke zu hauen wäre das erste Vergnügen, das ich heute hätte.«
    Murmelnd schlurfte der betrunkene Riese davon.
    »Und jetzt, Leute«, rief Farren, »macht, dass ihr fortkommt! Ein Dutzend meiner Männer hat gerade den Pavillon der Königin verlassen!
    Sie sind nicht glücklich über diesen Befehl, und ich mache ihnen daraus keinen Vorwurf. Ich kann keine Verantwortung für sie übernehmen! Ihr habt gerade noch Zeit, ins Dorf zurückzukehren und euch in euren Kellern zu verstecken, bevor sie eintreffen! Ihr tätet jedenfalls gut daran! Verschwindet!«
    Sie strömten in das Dorf All-Hands zurück, der große Mann, der den Hauptmann herausgefordert hatte, an ihrer Spitze. Farren knurrte und wendete sich dann wieder der Unfallstelle zu. Er zog die Jacke aus und bedeckte damit das Gesicht des Kutscherjungen.
    »Ich möchte wissen, wer von ihnen dem Jungen die Taschen geleert hat, als er tot oder sterbend auf der Straße lag«, sagte Farren nachdenklich. »Wenn ich es wüsste, hinge er noch vor Einbruch der Nacht an einem Kreuz.«
    Jack erwiderte nichts.
    Eine ganze Weile stand der Hauptmann nur da und betrachtete den toten Jungen; seine Hand rieb über das glatte Narbengewebe in seinem Gesicht. Als er Jack ansah, war es, als wäre er gerade wieder zu Bewusstsein gekommen.
    »Du musst dich jetzt auf den Weg machen, Junge. Jetzt gleich. Bevor Osmond den Wunsch verspürt, sich eingehender mit meinem schwachsinnigen Sohn zu beschäftigen.«
    »Werden Sie Ärger bekommen?« fragte Jack.
    Der Hauptmann lächelte ein wenig. »Wenn du fort bist, bekomme ich keinen Ärger. Ich kann sagen, ich hätte dich zu deiner Mutter zurückgeschickt, oder mich hätte die Wut gepackt und ich hätte dir ein Holzscheit über den Schädel geschlagen und dich umgebracht. Osmond würde beides glauben. Er hat den

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