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Der Tanz der besseren Gesellschaft (German Edition)

Der Tanz der besseren Gesellschaft (German Edition)

Titel: Der Tanz der besseren Gesellschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Feuchtenbeiner
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Geschlecht ist auch der Grund zu finden, warum er der Einladung seines alten Studiengenossen, des jetzigen Dr. Schlegel, so bereitwillig nachgekommen war. Worum genau es sich bei deren Vorhaben handelte, wird in den nächsten Zeilen enthüllt werden.
    Ihr zügiges Voranschreiten hatte die beiden Herren in der Zwischenzeit in eine ebenso ruhige wie breit angelegte Straße geführt, auf die die Sonne unbarmherzig herniederbrannte. Dr. Jakob Schlegel deutete ein Stück nach vorn; dem ausgestreckten Zeigefinger seines Freundes folgend erkannte P. ein recht großes Gebäude, das ein wenig den Eindruck eines Klosters machte. Wie er sehr wohl wusste, war in diesem Bauwerk ein Mädchenpensionat untergebracht, und zwar nicht irgendeines, sondern das berühmte „S. C.“
    „Was du mir unlängst erzähltest“, wandte sich Hermann nun an Jakob, „ist es wirklich möglich? Hast du mir wahrhaftig keinen Bären aufgebunden?“ Sein Blick fiel wieder auf das Pensionat; die Fenster waren mit massiv wirkenden, schmiedeeisernen Gittern versehen oder wenigstens mit Kathedralenglas bestückt, das dem neugierigen Auge den Einblick verwehrt und nichts als verschwommene Umrisse erkennen lässt.
    „Dafür stehe ich mit meinem Wort und meiner Ehre ein“, versicherte ihm Dr. Schlegel eilfertig. „Zudem brauchst du mir nicht länger zu glauben, du wirst dich nämlich gleich selbst davon überzeugen können.“
    „Das werde ich mit dem größten Vergnügen tun“, antwortete Hermann. „Ich brenne wirklich förmlich vor Neugier und Erwartung; denn bei all den amourösen Eskapaden in meinem Leben, so zahlreich und vielgestaltig sie auch gewesen sein mögen, ist mir doch noch nichts Vergleichbares untergekommen, was den Begehrlichkeiten und sinnlichen Erfahrungen entsprechen würde, die du mir für hier und heute angekündigt hast. Allenfalls in Träumen mag etwas Ähnliches …“
    „Still jetzt“, fiel ihm Jakob ins Wort, „wir sind da.“ Er öffnete schwungvoll die Tür und betrat einen kleinen Laden, ein typischer Greißler, der als Einziger die Berechtigung hatte, innerhalb des Internats seine Geschäfte zu tätigen. Über der Tür war eine schlichte Tafel angebracht, die über den Inhaber und die Art seiner Tätigkeit Auskunft gab: „R. S., Viktualienhandlung“ stand da in handgemalten Lettern zu lesen.
    Die kleine Gemischtwarenhandlung reihte sich nahtlos in eine Reihe von hunderten derartiger Geschäfte in der Stadt, auch was ihr wenig beeindruckendes Sortiment betraf. Wie alle Greißler bot er die Dinge des täglichen Bedarfs an – ein kleines Angebot für kleine Haushalte.
    Trotz der geringen Größe seines Ladens machte R. S. jedoch überdurchschnittlich gute Geschäfte, weil er einen einzelnen, wahrlich nicht klein zu nennenden Kunden hatte: eben das Pensionat „S. C.“, in dessen Mauern seine Greißlerei untergebracht worden war. Die Nonnen, die im „S. C.“ für die Aufrechterhaltung des Betriebes und der allgemeinen Ordnung zuständig waren, deckten ihren Bedarf an Lebensmitteln beinahe zur Gänze mit Waren von R. S.; sie betrachteten dies gewissermaßen als obligatorisch, schließlich war das Geschäft ja Teil ihres eigenen Hauses.
    Den jungen Damen wiederum war jeder Ausgang strengstens untersagt; indem es ihnen aber erlaubt wurde, die Viktualienhandlung aufzusuchen, hatten sie doch so etwas wie einen kleinen Ausgang, jedoch ohne das Haus tatsächlich zu verlassen. Den Anlass für diese winzigen, naiven Stückchen Freiheit, die sich die Mädchen hiermit holten, boten die köstlichen Süßigkeiten, die sie R. S. bei dieser Gelegenheit abkauften.
    Diesen Laden also betraten die beiden Herren nun, was den Besitzer zu raschem Aufstehen und etlichen diensteifrigen Verbeugungen veranlasste.
    R. S. war von kleinem, gedrungenem Wuchs und trug einen Vollbart zur Schau, in dem erste graue Strähnen nicht zu übersehen waren. Seine grauen Augen blickten stechend unter dicht gewachsenen, dicken Augenbrauenwülsten hervor.
    „Gerade zu rechten Zeit, die Herren“, sagte er angelegentlich und lächelte. „Gerade ist meiner Frau aufgetragen worden, das Bad zu bereiten – für den ältesten Jahrgang.“
    R. S. bekleidete, wie vergessen wurde zu erwähnen, zugleich den Posten eines Hausmeisters des Pensionats; er und seine bessere Hälfte waren ergo dazu angehalten, sich allerorten auf die verschiedenste Weise nützlich zu machen.
    Der Mann drehte sich jetzt um und rief in den hinteren Teil des Ladens: „He! Alte! Komm vor,

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