Der Tanz Der Klingen
versuchen, es mir zu merken.« Der Ritter taumelte, als Glockmann ihm aufhalf. Sein Antlitz war aschfahl vor Schmerzen, und als er beide Hände um die seines Retters legte, waren sie als eiskalt. »Verzeih, wenn ich dich herablassend behandelt habe, Freund. Du bist heute und hier zu einer Legende geworden.«
Glockmann stellte die Bank wieder aufrecht hin. »Setz dich. Wir bringen dich zu einem Oktogramm, sobald wir einige andere Angelegenheiten geregelt haben.«
Er ging zu seinem Spiegelbild hinter den Gitterstäben und baute sich davor auf. Eine Weile musterten die beiden Männer einander, dann nahm Glockmann das Medaillon ab und schlang es um den Gürtel, um es nicht zu verlieren.
»Ich kenne Euch nicht«, stellte der Gefangene fest. »Ihr gehört nicht zur Bruderschaft.«
»Nein, ich bin nur ein Schlosserlehrling. Radu hat mir erzählt, Ihr hättet hier einige Probleme mit Schlössern.« Törichter Humor konnte von drohender Überspanntheit zeugen. »Wer hat die Schlüssel?«
»Samuil«, antwortete der Herzog. »Die meisten jedenfalls.«
Glockmann löste einen Schlüsselbund vom Schwertgurt des Leichnams und kehrte zur Zellentür zurück. »Jakob Glockmann lautet mein Name, Herr.« Er wählte einen Schlüssel und hielt ihn nachdenklich hoch. Erschöpfung spülte in Wogen über ihn hinweg, doch er musste für die zäheste Verhandlung seines Lebens wachsam bleiben.
»Er ist eine der Klingen des Königs von Chivial«, erklärte Radu.
»Aha! Dann ist ihr Ruf also doch nicht übertrieben.«
»Beurteilt sie nicht nach mir, Herr. Ich habe bei der Ausbildung versagt.« Glockmann probierte den Schlüssel im Schloss aus. Er wusste, dass er nicht passen würde.
»Also hat sie es tatsächlich bis nach Chivial geschafft?«
»Dorthin und wieder zurück, Herr.« Ein weiterer falscher Schlüssel? »Tss! Sie war es, die mich geschickt hat, also wisst Ihr nun, wem Ihr Eure Rettung zu verdanken habt. Wo sagtet Ihr noch, hält sich ihr Sohn auf?«
Eine lange Pause. Glockmann versuchte und verwarf drei weitere Schlüssel. »Hm?«
»In Sicherheit.«
»Ihr könnt ihm vertrauen«, meinte Radu und fügte unsicher hinzu: »Hoheit?«
Mit gerunzelter Stirn betrachtete Glockmann den Schlüsselbund. »Es tut mir Leid, dass es so lange dauert, Herr. Ich scheine Schwierigkeiten zu haben, den richtigen Schlüssel zu finden.« Ob es klug war, einen Tiger zu reizen, unmittelbar bevor man ihn befreite?
»Der Knabe befindet sich in der Obhut der Grafenwitwe von Bad Nargstein.«
Klick!
»Da ist er ja!«, verkündete Glockmann unbeschwert und öffnete die Tür. »Und jetzt kümmern wir uns um den Kragen.« Vielleicht hätte er nun einen Eid verlangen sollen, doch sein Gefühl verriet ihm, dass Vertrauen bei diesem Mann besser wirken würde. Vorausgesetzt er war, wer er dem gesunden Menschenverstand nach sein musste.
»Dafür hatte Samuil keinen Schlüssel«, erklärte der Gefangene.
»Dann muss ich das Schloss knacken. Bitte seid so freundlich und setzt Euch auf das Bett, Herr. Verzeiht die Vertraulichkeit, aber es ist einfacher, wenn ich neben Euch sitze. Ich mache, so schnell ich kann.« Damit breitete er die Überreste seiner Tasche neben sich aus.
»Ich bin der Herzogin durchaus dankbar dafür, dass sie Euch geschickt hat, wenn dem tatsächlich so ist, dennoch stehe ich in Eurer Schuld. Welche Belohnung darf ich Euch anbieten?«
»Ich bin sicher, mir wird etwas einfallen, Herr«, murmelte Glockmann, der zu sehr mit dem Schloss beschäftigt war. Er fürchtete, die Werkzeuge aus Brikov könnten zu grob dafür sein.
»Warum nennst du ihn so?«, wollte Radu wissen. »Du glaubst nicht, dass er der Herzog ist?«
»O nein«, antwortete Glockmann. »Nie und nimmer. Er hat dich erkannt, als du ihn hier zum ersten Mal gesehen hast, zumindest hast du uns das erzählt. Seiner Gemahlin zufolge besitzt Herzog Rubin ein schlechtes Namensgedächtnis, außerdem würde er dich gewiss nicht mit ›Bruder‹ anreden, oder? Viel eher würde er dich ›Ritter‹ oder ›Bruder Radu‹ nennen, nicht wahr? Ah! Jetzt.« Klick! Es war ein lachhaft einfaches Schloss.
Der Messingkragen schwang auf, und Glockmann nahm ihn vom Hals des Gefangenen. Das Gesicht darüber verschwamm und verwandelte sich. Radu verschlug es den Atem.
»Fürst Volpe, vermute ich?«, meinte Glockmann vergnügt.
Das harte, knochige Antlitz entsprach genau Johannas Beschreibung, stark und einprägsam, nur dass auf dem Schädel und am mächtigen Kiefer nunmehr die grauen Stoppel mehrerer Wochen prangten.
Weitere Kostenlose Bücher