Der Tanz Der Klingen
Stimmen trieben im Wind dahin. Die Worte waren nicht zu verstehen, doch es handelte sich eindeutig um Johanna, die Rubin anflehte. Der halb verfallene Schornsteinschacht ragte von seinem Geröllbett aus himmelwärts. Berücksichtigte man die scharfkantigen Überreste einstiger Böden und Wände, die in allen Winkeln gleich Klingen vorragten, glich das Ganze einer riesigen, stachelbewehrten Keule. Gewiss erwarteten die Schattenherren nicht, dass Ringwald daran hinaufkletterte, oder? Aber irgendetwas erwarteten sie. Mittlerweile waren es viele, die wie Dürstende vor einer Schänke umherstanden.
Raunzer erklomm eine schräge Steinplatte, drehte dann den Rücken gegen eine Mauer und verschränkte die Hände zu einem Auftritt. Vor Abscheu schaudernd, ergriff Ringwald das Wams seines toten Freundes, stellte einen Stiefel auf die ihm angebotene Stufe und kletterte. Als er auf Raunzers Schultern stand, befand er sich immer noch etwas zu niedrig, um den Eingang über sich zu erreichen, also verwendete er widerwillig den Kopf seines einstigen Freundes als weitere Stufe. Der Leichnam erhob keine Einwände.
Ringwald griff nach der Schwelle und hievte sich empor. Er befand sich auf einem Treppenabsatz, von dem aus eine Flucht nach oben, eine andere nach unten führte. Unmittelbar vor ihm klaffte das schwarze Loch eines Tunnels, doch er spürte Wind im Gesicht und entschied, dass es sich um einen Gang durch die dicke Außenmauer handeln musste. An dessen Ende stieß er auf eine schwere, mit einem Steinbrocken offen gehaltene Tür. Erspähte hinaus und sah Lagerfeuer, um die Männer Wache standen. Ringwald befand sich etwa ein Stockwerk über der Erde. Zu seinen Zehen erblickte er eine Leiter, und zum ersten Mal seit vielen Stunden vernahm er den Ruf der Hoffnung. Die Soldaten stellten ein Problem dar, dennoch mochte es noch einen Ausweg aus diesem Schlamassel geben.
Er ging zurück zu den Treppen. Mehrere Schattenherren standen auf der abwärts führenden Flucht und versperrten sie – womöglich, damit er nicht die falsche Richtung einschlug? Für wie dämlich hielten die Toten die Lebenden eigentlich? Die andere Flucht musste der Weg sein, den der Herzog und sein Handlanger eingeschlagen hatten. Ringwald zog Schlechte Neuigkeiten.
»Du wirst gleich sehr schlechte Neuigkeiten für jemanden verheißen, meine Süße«, flüsterte er. Er hatte noch keine zwei Schritte getan, als sich eine Hand gleich einem Eisenhandschuh um seine Schulter schloss. Erschrocken schrie er auf, dann erkannte er, dass sie Raunzer gehörte, der ihm nach oben gefolgt war. Viele weitere Schattenherren schwärmten hinter ihm herein.
»Was ist denn, Bruder?« Seine Stimme ertönte schriller, als er erwartet hatte. »Hier geht es doch hinauf, oder?«
Raunzers lebloses Antlitz zeigte keine Regung. Sein Griff um Ringwald Schulter wurde unerträglich.
»Was? Was ist denn? Hör auf! Was versucht du, mir …« Unter dem unbarmherzigen Gewicht ging er in die Knie. Selbst lebendig hatte Raunzer gerne mit seinen Muskeln geprotzt, und nun faltete er Ringwald regelrecht zusammen, zwang ihn auf die Knie und weiter hinab, bis dessen Nase beinahe die erste Stufe berührte. Dort erspähte Ringwald einen dünnen, goldenen Faden, der sich von Seite zu Seite spannte.
»Aha! Ist das ein Problem?« War er nur hergebracht worden, um es zu beseitigen? »Ist es eine Art Schutzkordel?« Er redete mit sich selbst. »Du kannst sie nicht überqueren?« Es waren nur tote Menschen zugegen, die ihm nicht antworten konnten, dennoch schien der Gedanke vernünftig, zumal es irgendeine Beschwörung geben musste, die verhinderte, dass die wandelnden Toten durch die Tür, die er gefunden hatte, die Feste verließen. »Ich gehe als Erster, in Ordnung?« Die Hand rührte sich nicht. Er konnte sich nicht einmal umdrehen, um Raunzers Züge zu sehen, doch die hätten ihm ohnehin nichts verraten. »Ich verspreche, dass du und deine Gefährten die Übeltäter noch vor dem ersten Tageslicht haben könnt.« Die frostige Hand löste sich von seiner Schulter. Ringwald stand auf.
Er hob die Schnur mit der Spitze seines Schwertes an, und nichts Böses geschah. Dann ging er die Treppe hinauf, trug den Zauber vor sich her, und Raunzer führte in seinem Gefolge die Armee der Untoten an.
Nach zwei Treppenfluchten hinauf vernahm Ringwald Stimmen und ging vorsichtiger weiter, bis er auf den Hochstand des Herzogs hinausblickte; das Nest der Ratte. Es hatte sich nichts verändert. Das Feuer war kleiner geworden,
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