Der Tanz Der Klingen
ziemlich gut auszudrücken.
Sie ergriff die ihr dargebotene Hand, eine kräftige, schwielige Soldatenhand, und ließ sich über die wackelige Brücke führen. Ringwald folgte dicht hinter ihr. Er stützte Trudy, war jedoch allzeit bereit, nach seinem Mündel zu greifen, sollte Johanna ihn brauchen. Es dauerte eine ganze Weile, die Leitern und Bretter zu verlegen, um Klüfte über den Felshaufen zu überwinden und zu dem Turm zu gelangen, in dem Rubin gestorben war. Die Männer schlugen Disteln für sie um, hielten Leitern fest, wenn sie hinauf- oder hinunterklettern musste. Sie geleiteten sie zum Fuß des Schornsteinturms und eine weitere Treppe hinauf.
Am fernen Ende eines Tunnels durch den der Wind pfiff, hielt sie neben einer dicken Holztür inne und schaute auf eine Wiese hinab, auf der noch die Glut von Lagerfeuern rauchte. Einige Dutzend Vamky-Ritter bildeten gerade eine Ehrengarde, und mittlerweile befanden sich mindestens ebenso viele hinter ihr. Ihre Arbeit in der Feste war verrichtet. Rubins große, achtspännige Herzogskutsche stand unbeachtet im Hintergrund. Dahinter lagen die Koppeln und Nebengebäude von Donehof vor herbstlichen Hügeln und schneegesäumten Berggipfeln. Das Haupthaus befand sich außer Sicht hinter dem Turm. Obwohl die letzte Brücke, die auf sie wartete, wie ein Fluchtweg aus einer Todesfalle aussehen sollte, konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, die Freiheit hinter sich zu lassen. Ein halbes Jahr lang hatte sie Entscheidungen getroffen, ohne sie sich von einem Mann genehmigen zu lassen; nun würde sie wieder Befehle empfangen. All die Schönheit des Morgens vermochte nicht, dies aufzuwiegen.
Ringwald murmelte »Mit Eurer Erlaubnis« und zwängte sich an ihr vorbei, um vorauszugehen, ganz so, als gehörte es zu den Pflichten einer Klinge, als Landekissen für abstürzende Mündel zu dienen. Er war doppelt bewaffnet, denn irgendwann und irgendwo in den letzten Minuten hatte er ein zweites Schwert ergattert. Beide hatten Katzenaugengriffe.
Johanna drehte sich um und begann mit dem Abstieg.
Ihre Klinge wartete am Fuß der Leiter mit sorgenvoller Miene. »Euer Gnaden«, murmelte Ringwald, dessen Augen in jede Richtung außer in die ihre zuckten. »Ich glaube, da braut sich Ärger zusammen. Besteht auf Euren königlichen Ehren.«
Die Ehrengarde sah ganz und gar nicht mehr wie eine Ehrengarde aus. Auf einer Seite stand ein Dutzend Männer, auf der anderen Seite ein weiteres, und in der Mitte wartete gelassen ein fünfundzwanzigster Mann. Sie hatte den Abt noch nie in militärischer Kluft gesehen und hätte das farblose, unscheinbare Gesicht unter dem Helm um ein Haar nicht erkannt. Er war keineswegs fett, bestenfalls etwas mollig, und seine Züge präsentierten sich glatt wie die eines Knaben. Allein die grau gesprenkelten, buschigen Augenbrauen straften die vermeintliche Jugend seines Gesichts Lügen. Einem Antlitz ohne jede Sorgenfalte misstraute Johanna grundsätzlich.
Er lächelte, als sie sich ihm mit Ringwald zur Rechten und Trudy zur Linken näherte. Trudy trug noch immer das Breitschwert des Grafen, als betrachtete sie es als persönliches Andenken. Die letzten Überlebenden einer aufsehenerregenden Nacht, dachte Johanna.
»Guten Tag, Frau Schale. Wie ich höre, hattet Ihr eine unerfreuliche Nacht.«
»Minhea, nicht wahr?«, gab sie zurück. Fürst Volpe hatte Ernst von Fader in mancherlei Hinsicht bewundert, in anderer missbilligt. Mit dem Abt aber hatte er nie etwas anzufangen gewusst. »Wo ist Fürst Volpe? Wurde er vom Tod seines Neffen unterrichtet?«
Das Lächeln des Abts verschwand nicht. »Ihr wart ja in der Fremde … Fürst Volpe ist einige Wochen vor seinem Neffen verschieden.«
Trudy hüstelte eine Warnung.
»Und sein Sohn, Fürst Karl?«, wollte Johanna wissen.
»Ah ja. Über Fürst Karls Verschwinden wird man Euch einige Fragen stellen müssen.«
»Also bestehen keinerlei Zweifel, dass mein Sohn nun Großherzog ist. Wo ist er?«
Minheas Augen schienen aufzuleuchten. »Wenn Ihr es nicht wisst, spielt es keine Rolle, Frau Schale.«
Zu spät erkannte sie ihren Fehler. Sie hätte ihre Ahnungslosigkeit niemals zugeben dürfen. »Ich bin Großherzogswitwe Johanna und wäre Euch dankbar, wenn Ihr Euch daran erinnern könntet.«
Minhea schüttelte den Kopf, wobei Strahlen der Morgensonne von seinem Helm widerspiegelten. Mit einem Schlag wirkte sein Lächeln echt, als hätte er soeben letzte Zweifel über Bord geworfen und könnte die Lage nun in vollen Zügen genießen.
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