Der Tanz Der Klingen
führten bald bergauf, bald bergab. Bisweilen prasselte Regen aufs Dach und sickerte rings um die Fenster herein.
Schließlich nahm Rubin seinen Sohn, was er noch nie zuvor getan hatte. Unglaublicherweise hörte Frederik auf zu brüllen. Entweder wusste er die Ehre zu schätzen, oder er war bloß zu verdutzt, um sich zu wehren. Jedenfalls wimmerte er noch ein paar Mal, dann versank er in tiefen Schlaf. Bald darauf stellte Johanna fest, dass sie im Begriff war, es ihm gleichzutun.
Ruckartig erwachte sie und war unsicher, wo sie sich befand. Rubin hielt immer noch seinen Sohn. Ruxandra schnarchte. Die Kutsche erklomm einen steilen Hang.
»Wir fahren nach Norden?«, fragte sie.
»Ganz recht. Die andere Kutsche fährt nach Süden, nach Zolensa, und ich hoffe, mein niederträchtiger Onkel jagt sie höchstpersönlich und fällt dabei vom Rand der Welt.«
»Aber wohin? Doch nicht zurück nach Trenko?« Selbst wesentlich später im Jahr wäre die Überquerung des Passes in diesem Gefährt ein höchst gewagtes Unterfangen. Sie würden gewiss frische Pferde brauchen. Und sie müssten an Vamky vorbei, dem Hort des Verräters.
Rubin stimmte wieder jenes sonderbare Kichern an. »Ich hoffe, so weit müssen wir nicht, aber der Markgraf versprach mir tatsächlich seine Unterstützung, sollte etwas wie dies geschehen. Nein, ich habe dir doch gesagt, Minhea ist mir treu geblieben. Wir tauschen Tisch und Bett mit dem Abtrünnigen. Volpe kann den Palast haben. Indes sichern wir unsere Herrschaft im Kloster!«
»Wunderbar!«, stieß Johanna hervor und war erstaunt über sein Selbstvertrauen. Diese gelassene Beherztheit war eine Seite an ihm, die sie nie für möglich gehalten hätte. »Geschah zurzeit Eures Großvaters nicht etwas Ähnliches?«
»Zu seiner Zeit geschah alles nur Erdenkliche. Mach dir keine Sorgen, Honigschnittchen. Alles wird gut.«
Ruxandra war erwacht. »Hier, Frau«, sagte der Herzog. »Kümmere dich um den Jungen. Nimm ihn und … Was? …«
Die Kutsche war wieder etwas schneller geworden, aber plötzlich wieherten die Pferde aufgebracht. Der Kutscher riss an den Zügeln, Schotter knirschte unter blockierten Rädern, und die ganze Welt schien sich zu neigen. Johanna schrie auf und streckte die Hand nach ihrem Sohn aus. Rubin fiel auf sie, anschließend fielen Kind und Amme auf sie beide. Die Kutsche rollte sich überschlagend abwärts, fiel, prallte gegen Bäume, rollte holpernd weiter, zerbarst und ergoss ihren Inhalt über den Felshang.
7
Nach einer scheinbaren Ewigkeit begann der Himmel über den Gebirgsketten im Osten aufzuhellen. Die Welt war düster, feucht und sehr kalt. Johanna konnte sich nicht entsinnen, aus dem Wrack geschleudert worden zu sein. Entweder hatte sie Frederik an sich gerissen, bevor es geschah, oder sie hatte ihn später in der Finsternis gefunden. Doch sie erinnerte sich weder an das eine noch an das andere. Sie kauerte an einer dürren Kiefer, die alles war, was sie davor bewahrte, einen überaus steilen Hang hinabzurollen und über dem Rand des Abgrunds am Ende der Böschung zu verschwinden. Frederik war in eine dreckige, grasbefleckte Decke gehüllt und schlief in ihren Armen .Sein Gesicht war voller Schlamm und Blut, aber er atmete. Johanna selbst hatte an zu vielen Stellen Schmerzen, um auch nur den Versuch zu unternehmen, sie einzuordnen. Über ihr verriet eine Schneise von geknickten Bäumen, Trümmerteilen und toten Pferden, wo die Kutsche den Hügel herabgestürzt war. Die Überreste hatten sich an einem Baum ein Stück unterhalb von ihr verkeilt. Ein Rad und ein totes Pferd hingen über dem Abgrund zur Asch, die in ihrer Schlucht rauschte.
Irgendwie musste sie Hilfe finden. Es dauerte eine Weile, bis sie das begriff. Sie hatte ihre Schuhe verloren. Ein unbeherrschbares Zittern hatte Besitz von ihr ergriffen. Die vertrauten Umrisse der Umgebung verrieten ihr, dass sie sich unweit des Vamky-Klosters befand, westlich des Flusses stromabwärts der Altenbrücke. Folglich musste Fadrenschloss ganz in der Nähe sein, aber sie würde barfuß dorthin laufen und Frederik dabei tragen müssen.
Bevor sie die Straße erreichte, hörte sie Stimmen brüllen. Sie sparte sich die Mühe zu antworten, da Frederik bereits den nötigen Lärm veranstaltete. Zwei Männer kamen durch die Büsche und Bäume heruntergeklettert. Einer jung, der andere älter. Vater und Sohn. Holzfäller. Hilfe. Der Ältere nahm Frederik auf seinen Arm, der Jüngere hob ebenso mühelos Johanna.
Später befand sie
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