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Der Tanz des Maori (epub)

Titel: Der Tanz des Maori (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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schnell verflogen die Tage, bis wir zum Hafen mussten, um Ava zu verabschieden. So traurig der Anlass war, so wunderschön war dieser Tag: Ein paar kleine Wölkchen segelten über das Meer heran, der leichte Wind sorgte dafür, dass die Sommerhitze erträglich war. Angus hielt sich taktvoll im Hintergrund – oder er wollte einen Skandal und zu viel Aufsehen in letzter Sekunde vermeiden. Junior spürte die Nervosität und die Trauer seiner Mutter und klammerte sich ängstlich an sie. Ava musste seine kleinen Finger mühsam von ihrem Mantel lösen und ihn zu Miriam hinüberschieben. Der Anblick brach mir fast das Herz: der kleine Junge, der gewaltsam von seiner Mutter getrennt wurde. Junior heulte und schrie in einem fort »Mama!«, während Ava sich von uns allen verabschiedete.
    Mich nahm sie in den Arm und flüsterte mir ins Ohr: »Danke dafür, dass du mir immer eine gute Freundin gewesen bist. Pass auf meinen kleinen Liebling auf!«
    Dann wandte sie sich Miriam zu und hielt sie noch sehr viel länger. »Ich gebe dir meinen Sohn. Behandele ihn, als wäre er dein eigen Fleisch und Blut. Sei gerecht, wenn er Unfug macht, und liebevoll, wenn er Angst hat. Sei ihm die Mutter, die er jetzt verliert. Und vor allem in den nächsten Tagen: Sei doch bitte geduldig, für ihn ist doch alles neu, und er ist noch so klein …« Ihre Stimme versagte.
    Sie bemühte sich sehr darum, Haltung zu bewahren – aber als sie schließlich zum letzten Mal vor ihrem Sohn niederkniete, um ihm noch einmal in die Augen zu sehen, liefen ihr die Tränen ohne Unterlass über die Wangen. Sie konnte nichts sagen, sie konnte ihn nur noch küssen. Dann drehte sie sich um und rannte über die Gangway auf das Schiff, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Erst auf dem Deck hielt sie inne. Ich sah, wie sie auf einem Berg Gepäck zusammenbrach, ihr Gesicht in den Händen verbarg und von heftigen Schluchzern nur so geschüttelt wurde. Wir blieben noch kurz mit dem heulenden Junior stehen – aber dann kam Angus und forderte uns alle auf, endlich zu gehen.
    Â»Wir wollen diesen Augenblick auch nicht über Gebühr ausdehnen!«, erklärte er. Also stiegen wir in sein Auto, und er kutschierte uns in sein Haus.
    Mein altes Leben war vorbei.
    Und Juniors kleines Leben war aus allen Fugen geraten.

22.
    Ruiha beendete ihre Erzählung und sah sinnend vor sich hin. Sina konnte sich nicht beherrschen: »Hast du jemals wieder von ihr gehört?«
    Â»Nein«, schüttelte Ruiha den Kopf. »Kein einziges Lebenszeichen habe ich von ihr in all den Jahren bekommen. Sie hat nie geschrieben, nie den Kontakt zu Junior gesucht. Erst als du in das Geschäft gekommen bist, habe ich zum ersten Mal seit Jahren wieder an sie gedacht. Es ist schließlich alles so unglaublich lange her …«
    Â»Aber meine Großmutter hieß nicht Ava!«, wehrte Sina sich noch einmal. »Sie lebte nicht einmal in Hamburg. Sie hieß Eva und war mit dem Arzt Hubertus Gehrling verheiratet …«
    Mitten im Satz brach sie ab. Plötzlich kamen ihr die letzten Stunden ihres Großvaters wieder in den Sinn. Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern – hatte er sie nicht für seine über alles geliebte Frau gehalten? Und was hatte er mit diesem »Geheimnis« gemeint, das ihr Leben überschattet hatte?
    Â»Es kann kein Zufall sein, dass du ihr so unglaublich ähnlich siehst!«, beharrte Ruiha.
    Â»Oma hätte doch sicher irgendwann einmal wenigstens erwähnt, dass sie in Neuseeland gelebt hat«, wehrte Sina sich. Aber sie war nicht mehr vollkommen davon überzeugt. Die Großmutter, die sie von den Fotos her kannte, war eine sportliche Frau, die offensichtlich nur wenig Angst vor den Unbillen des Lebens hatte – aber sie hatte wohl nur sehr selten etwas Persönliches preisgegeben. Oder zumindest hatte es niemand für nötig gehalten, zu einem späteren Zeitpunkt von Eva Gehrling etwas Persönliches zu erzählen. Sina war bei ihrem Tod schließlich noch gar nicht auf der Welt gewesen …
    Ruiha beobachtete das lebhafte Mienenspiel in Sinas Gesicht und lächelte. »Vielleicht hat deine Großmutter nur die Wahrheit weitergegeben, die sie selber sehen wollte. Es kann sein, dass ihr die Erinnerung an Junior und den Tod von ihrem Mann John einfach zu schmerzhaft erschienen. Vielleicht hat sie deswegen die Erinnerung an ihre Zeit in

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