Der Tanz des Maori (epub)
Neuseeland einfach ausgeblendet.«
Ruiha lächelte müde und erhob sich. »Du musst mich entschuldigen â wenn ich jetzt nicht endlich ins Bett komme, dann breche ich zusammen.«
Erschrocken sah Sina aus dem Fenster. Tatsächlich wurde der Himmel am Horizont schon wieder hell. Ruiha hatte die ganze Nacht geredet, jetzt sah sie erschöpft aus. Aber auch irgendwie erleichtert, so als ob sie sich eine Last von der Seele geredet hätte, die schon viel zu lange dort vergraben war. Hastig verabschiedete Sina sich von der alten Frau und wanderte durch die dunklen StraÃen zurück zu Mary-Ann. Wo sie am Nachmittag noch in Trance gegangen war, sah sie jetzt die fein gepflegten Gärten, die magischen Farnbäume und die zerzausten Palmen. Dieser Ort der Erde war immer noch sehr wild und ungezähmt â wie mochte es hier vor sechzig Jahren ausgesehen haben?
Mary-Ann hatte die Eingangstür einfach angelehnt gelassen. Auf dem Küchentisch lag nur ein Zettel: »Wollte nicht mehr auf dich warten. Auflauf ist im Backofen, Wein im Kühlschrank. Wir sehen uns beim Frühstück! M-A«
Lächelnd kritzelte Sina ein paar Zeilen darunter: »Ruiha hat bis in die Morgenstunden hinein erzählt ⦠Ich schlafe länger, lass uns doch heute Abend zusammen essen gehen. Ich erzähle dir dann alles! S.«
Im Bett fiel sie in einen tiefen traumlosen Schlaf. Heute Nacht verschonte sie der wütende Haka-Tänzer mit seinen Angriffen.
Katharina zappte sich lustlos durch das Fernsehprogramm. Von der Arbeit in der Redaktion war sie müde, aber sie wollte gerne noch einen Spielfilm oder so etwas sehen. Gelangweilt schenkte sie sich gerade eben den letzten Schluck Wein ein, als plötzlich das Telefon klingelte. Ãberrascht sah Katharina auf die Uhr. Es war schon nach zehn. Da konnte es sich nur noch um Notfälle in der Familie handeln. Sie griff zum Hörer und hörte erst einmal nur ein Rauschen. Dann Sinas Stimme. »Bist du es, Katharina?«
»Du hast meine Nummer gewählt, wer sollte sonst am Apparat sein?« Katharina war überrascht, so plötzlich von ihrer Freundin zu hören. »Und überhaupt: Bist du nicht in Neuseeland und rettest Menschen in Christchurch das Leben?«
»Mach ich ja«, antwortete Sina. »Aber dieses Wochenende habe ich frei, Brandon sitzt in Vanuatu fest â und ich bin wieder zu Ruiha gefahren â¦Â«
»Dieser alten Maori? Was willst du denn von ihr? Dir noch mehr alte Geschichten von einer Frau, die dir ähnlich sieht, anhören? Sina, was soll das bringen?«
»Nun ⦠diese Frau, die mir ähnlich sieht. Sie ist damals nach Deutschland zurückgefahren. Ohne ihren Sohn. Ich habe da jetzt so eine Idee. Was, wenn diese Ava Denson etwas mit meiner GroÃmutter zu tun hatte â mit Eva Gehrling?«
»Du fantasierst! Dabei ist es bei dir heller Vormittag, du solltest noch keinen Alkohol getrunken haben!« Katharina konnte sich nicht vorstellen, dass Sina das ernst meinte, was sie da sagte. »Sina, gebrauch doch für einen Augenblick mal deinen hochgerühmten analytisch-wissenschaftlichen Verstand. Warum sollte diese Geschichte etwas mit dir zu tun haben?«
Selbst durch das Telefon merkte Katharina, dass Sina zögerte. »Da ist etwas ⦠Mein GroÃvater hat ein paar Sachen gesagt, bevor er gestorben ist. Er hat mich auch mit meiner GroÃmutter verwechselt. Offensichtlich sehe ich ihr sehr ähnlich, das hat man mir auch als Kind immer gesagt.«
»Okay«, gab Katharina nach. »Und was genau soll ich jetzt für dich tun?«
»Du bist doch jetzt bei dieser Zeitschrift. Könntest du nach Ava Denson recherchieren? Auch wenn sie nichts mit Eva Gehrling zu tun haben sollte â was ich übrigens immer noch glaube â, ich würde Ruiha gerne erzählen, was aus Ava geworden ist. Ihr müsst doch ein Archiv oder so etwas haben.« Ihre Stimme klang flehend.
»Okay. Ich kann aber nichts versprechen, und ich mache mich auch erst dran, wenn ich meine laufende Arbeit erledigt habe. Du hast keine Ahnung, was in einer Redaktion alles los ist!« Sie griff nach einem Zettel. »Erzähle mir, was du von dieser Ava Denson auÃer dem Namen alles weiÃt.«
»Du bist ein Schatz«, rief Sina ins Telefon. »Leider habe ich nicht allzu viel: Ava hat Neuseeland im März 1936 verlassen. Ihr Schiff ging erst einmal von Westport nach Christchurch, ich habe
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