Der Tanz des Maori (epub)
du einen Rat nötig hast, du kannst immer kommen.«
Dankbar griff ich nach ihren Händen. »Danke, Amiri«, flüsterte ich noch, bevor ich mich wieder auf den Weg zurück nach Seddonville machte.
Alles war unverändert. Die Bäume standen hoch am Wegesrand, die Wolken fegten über das Meer, es roch leicht nach Algen und stark nach feuchter Erde. Alles wie immer, nur meine Welt war völlig aus den Fugen geraten.
In den nächsten Tagen versuchte ich, mir alle Möglichkeiten auszumalen.
Ich könnte Anaru einfach sagen, dass es sein Kind sei. Womöglich merkte er nicht, dass ich dann einen Monat zu lange schwanger wäre und das Kind erst nach zehn Monaten auf die Welt kam? Aber dann stellte ich mir den Augenblick vor, in dem ich ihm seinen Sohn oder seine Tochter in den Arm drückte. Wie konnte ich mit dieser Lüge leben? Wie sollten wir glücklich werden, wenn ich die ganze Zeit in meinem Herzen ein Geheimnis trug? Und noch schlimmer: Was, wenn mein Kind dann aussah wie das Kind eines WeiÃen? Das konnte ich Anaru wohl kaum erklären ⦠Nein, ich konnte ihm nicht einfach mein Kind als sein eigenes unterschieben.
Vielleicht könnte ich Betty um Hilfe bitten. Sie wusste sicher, welche Ãrzte einer Frau bei einem solchen Problem helfen konnten. Immerhin führte sie das Bordell, ihre Mädchen mussten öfter in andere Umstände kommen, und in dem Bordell waren keine Kinder zu Hause. Zumindest hatte nie jemand von Kindern gesprochen, wenn von Betty die Rede war. So schwer es mir fiel, aber ich machte mich auf den Weg. Natürlich versicherte ich mich erst, dass Angus in dieser Nacht bei uns im Haus war. Aber ich konnte beruhigt sein: Als ich über die Treppe nach unten schlich, hörte ich aus seinem Zimmer ein regelmäÃiges Schnarchen. Es war noch fast Nacht, als ich den Zug nach Westport nahm. Als ich ankam, lag über den StraÃen eine fahle Morgendämmerung. Ich sah mich um. Das Bordell sah keinen Deut anders aus als die umliegenden Häuser â aber jeder in Westport wusste, welchem Zweck dieses Haus diente. Zaghaft klopfte ich an Bettys Tür. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich Schritte auf der Treppe hörte.
Es öffnete eine blasse Frau mit verquollenen Augen und wirren, roten Haaren, die mich einen Augenblick lang missmutig musterte. »Keine Ahnung, wen du suchst â aber er ist nicht hier. Niemand ist mehr hier. Um diese Zeit schlafen wir.«
Damit wollte sie die Tür vor meiner Nase zuschlagen. Ich machte schnell einen Schritt nach vorne und hielt meine Hand in den Spalt. »Nimm deine Hand weg!«, fauchte sie mich an. »Ich will wieder ins Bett, dein Mann ist nicht hier. Verschwinde.«
Ich räusperte mich verlegen. »Es geht nicht um meinen Mann«, flüsterte ich. »Es geht um mich.«
Sie sah mich etwas genauer an. »Die Männer begehren euch Maori-Weiber nicht, ich brauche keine von euch hier in meinem Haus«, sagte sie schlieÃlich. Sie sah mich noch einmal genauer an. »Aber du hast einen schönen Busen. Vielleicht kann ich doch etwas mit dir anfangen.«
Verlegen zog ich meine Jacke vor der Brust zusammen. Seitdem ich ein Kind erwartete, hatte meine Oberweite enorm zugenommen. Es war ein Wunder, dass Anaru noch nichts bemerkt hatte.
»Sie verstehen mich falsch«, flüsterte ich. »Ich brauche einen Rat, keine Arbeit.«
Betty warf noch einen Blick auf meine Oberweite, dann schüttelte sie den Kopf. »Den Rat, den du suchst, kann ich dir nicht geben. Damit mach ich mich strafbar â ich möchte auch nicht, dass irgendjemand weiÃ, dass du hier gewesen bist. Geh dahin, wo du herkommst. Mach schon.«
»Aber Sie müssen mir doch helfen können!« Ich fing an zu weinen. »Ich bin nicht schuld, aber Master Angus hat zu viel getrunken, und dann hat er â¦Â«
»Master Angus?« Mit einer einzigen schnellen Bewegung zog sie mich in den Hausflur.
Hier sah sie mich genau an. »Du bist also das Hausmädchen, das bei ihm angestellt ist? Er hat mir von dir erzählt.«
»Von mir erzählt?«, fragte ich. Was sollte Angus schon von mir erzählen?
Sie nickte und winkte mir zu, dass ich ihr folgen sollte. »Sicher. Du bist der einzige Mensch, der mit dem kleinen John zurechtkommt.«
Für einen winzigen Moment war ich überrascht. Dann fiel mir ein, dass Angus Junior immer nur John nannte.
»Hat er noch mehr erzählt?«,
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