Der Tanz des Maori (epub)
mich auf dieser Welt, Angus unternahm nichts, um seine Zuneigung zu gewinnen.
Angus selber benahm sich, als ob rein gar nichts vorgefallen wäre. Er war höflich, aber distanziert und stellte nur die nötigsten Fragen. Wir begegneten uns wie zwei Fremde. Ich fühlte mich damit nicht unwohl. Auf eine Entschuldigung wartete ich allerdings vergeblich â ich rechnete damit auch nicht.
Anaru traf ich zwei Tage nach der Beerdigung. Er hielt mein Gesicht in beiden Händen und musterte mich aufmerksam, als wir uns wiedersahen. »Du siehst müde aus«, stellte er schlieÃlich fest. Dann fuhr er über meine Lippe, die immer noch etwas aufgesprungen war. »Was ist dir passiert?«
»Als ich Miriam gefunden habe, bin ich die Treppe hinuntergestürzt. Ich war so schrecklich in Panik, bin so sehr erschrocken â¦Â« Diese Antwort hatte ich mir vorher schon zurechtgelegt. Ich hasste es, Anaru anlügen zu müssen. Aber ich durfte nicht riskieren, dass er die Wahrheit erfuhr. Er würde mit seiner ganzen Wut und seinem Hass auf Angus losgehen. Das konnte nur in einer Katastrophe enden ⦠Was half es mir, wenn Angus zwar tot war, mein Anaru aber im Gefängnis steckte? Er durfte die ganze Wahrheit nie erfahren.
Er sah mich prüfend an, seine hellen Augen schienen mir direkt ins Gewissen zu sehen. Für einen Augenblick war ich mir sicher, dass er meine Lüge durchschaut hatte. Dann streichelte er nur über meine Wange. »Du hast viel mitmachen müssen, das war bestimmt eine schlimme Zeit für dich.«
Er nahm mich in den Arm und hielt mich fest. Langsam schloss ich die Augen und atmete aus. Seine Berührung war wie eine heilende Medizin für meine Seele. Nach einer kleinen Ewigkeit hob er ein wenig mein Kinn an, um mich zu küssen. Von einer Sekunde auf die andere machte ich mich steif. Vorsichtig löste ich mich aus seiner Umarmung und sah ihn mit einem entschuldigenden Lächeln an.
»Es tut mir leid, aber ich kann gerade nicht ⦠Der Anblick von Miriam war so schrecklich, ich kann ihn einfach nicht vergessen. Und ich will dich nicht küssen, während ich an ihr blaues Gesicht denke.«
Anaru nickte verständnisvoll und nahm mich wieder in den Arm. »Dann lass dich wenigstens ein bisschen von mir trösten. Ich halte dich ganz einfach fest in meinen Armen, ja?«
Ich schmiegte mich an seine Brust. »Das wäre schön«, murmelte ich noch. So standen wir bestimmt eine halbe Stunde, bis wir uns endlich voneinander lösten und Hand in Hand einen Spaziergang machten.
»Was hast du denn jetzt vor?«, fragte Anaru schlieÃlich. »In der Zeitung stand, dass MacLagan seine Mine verkaufen und der Westküste den Rücken kehren will. Kein Verlust, wenn man mich fragt â aber damit ist deine Zeit bei ihm dann wohl sicher vorbei, oder?«
»Ich denke schon«, erwiderte ich. »Ich habe mit ihm noch nicht darüber gesprochen, es war viel zu viel mit der Beerdigung zu tun. Aber ich kann mir nicht vorstellen, ihm in ein anderes Haus zu folgen, um dort auch für ihn zu arbeiten. Nein, das will ich nicht.«
»Das ist schön«, lächelte Anaru und drückte sanft meine Hand. »Ich könnte mir auch nicht vorstellen, von dir für eine längere Zeit getrennt zu sein.«
Schweigend gingen wir zurück zum Anwesen der MacLagans. Dabei hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Anaru dachte sicher über eine wunderbare Zukunft mit mir nach. Und ich fürchtete, dass Angus wieder zu Hause sein würde oder dass ich gezwungen sein könnte, mit ihm zu sprechen. Ich konnte und wollte ihm einfach nicht in die Augen sehen!
Wir verabschiedeten uns mit einem kleinen, unschuldigen Kuss, ich winkte und rannte die Treppe nach oben. Für die Nacht legte ich den Riegel an meinem Zimmer vor â nur so konnte ich überhaupt ein bisschen Schlaf finden. Allein der Gedanke, dass Angus unter dem gleichen Dach mit mir schlief und nur ein paar Treppenstufen entfernt war, sorgte dafür, dass ich immer wieder aus dem Schlaf auffuhr und in das nächtliche Dunkel lauschte. Was, wenn er Spaà an der Vergewaltigung gehabt hatte? Mich als sein Eigentum betrachtete, das er einfach wieder benutzen konnte? Aber so sehr ich auch in die Nacht lauschte: Ich hörte seine Schritte nie auf der Treppe, er kam nicht zu mir.
So vergingen zwei oder drei Wochen. Allmählich wurden die Winde wieder rauer, und der Himmel sorgte
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