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Der Tanz des Maori (epub)

Titel: Der Tanz des Maori (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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darüber im Klaren zu sein, wo er eigentlich hinwollte, bog er in den nächsten Kreisverkehr ein. Warum nur hatte er Sina jemals darin bestärkt, sich um das Geheimnis hinter diesen alten Bildern zu kümmern? Wen interessierten schon diese uralten Geschichten? Er schüttelte den Kopf. Nichts von dem, was Sina erzählt hatte, konnte wahr sein.
    Ehe er es sich versah, stand er vor dem Bürogebäude der Reederei seines Großvaters. Der leuchtend blaue Schriftzug verriet es jedem schon von Weitem: Pacific Shipping Company. Keine weltbewegende Sache, als Kind war Brandon hunderte Male hier gewesen. Er stieg aus seinem Auto aus und machte sich langsam in Richtung Eingangstür auf. Sicher, er sollte sich kurz melden und nach dem Fortgang der Reparaturen der »Pacific Princess« fragen. Aber eigentlich war das nicht sein Ziel. Er ging durch die Drehtür in die klimatisierte Eingangshalle. Schon als Kind hatte ihn das immer beeindruckt – der kühle, polierte Marmor und die vielen Vitrinen, die im Raum verteilt standen. In jeder war die Miniatur eines Schiffes der Reederei zu sehen – auch die Schiffe, die schon lange nicht mehr im Dienst waren, sondern schon längst als »Seelenverkäufer« unter der Billigflagge von Drittweltländern die Weltmeere unsicher machten. So funktionierte das Spiel. Wenn die Sicherheitsstandards von Neuseeland angehoben oder die Wartung und Instandhaltung zu teuer wurde, dann wurden die alten Schiffe nicht etwa verschrottet, sondern verkauft und unter neuem Namen auf Reise geschickt. Das machte die Meere nicht sicherer, aber den Gesetzen Neuseelands war Genüge getan. Nachdenklich sah Brandon die Schiffe aus der Mitte des letzten Jahrhunderts an. Da war die »Pacific Lady« oder die »Pacific Bridget« – ja, seine Großmutter war Namensgeberin eines der ersten Schiffe gewesen. Daneben fiel ihm allerdings erst jetzt zum ersten Mal die »Pacific Miriam« auf. Brandon runzelte die Stirn. Er hatte zwar gehört, dass Bridget keine eigenen Kinder bekommen konnte. Dass Ewan und John von Georges erster Frau Miriam waren …
    Aber woher konnte diese alte Maori das wissen? Brandon beschloss, dass er dem Archiv der Reederei einen kurzen Besuch abstatten sollte. Der alte Pförtner winkte ihm zu. »Ich habe dir noch gar nicht zu deinem Kapitänspatent gratuliert! Wie war die Jungfernfahrt mit der ›Princess‹?«
    Brandon lachte den alten Mann an. Der saß hier am Empfang, so lange er denken konnte. »Bis Vanuatu war alles wunderbar. Dann hat mich eine Sturmbö erwischt, und die ›Princess‹ hat sich den Bauch an der Kaimauer verkratzt. Ich hoffe, dass sie bis nächste Woche wieder repariert ist – dann bringe ich sie erst mal wieder nach Hause.«
    Â»Mach dir keine Sorgen! Dein Großvater gibt trotzdem mit dir an, als ob er den nächsten Nobelpreisträger zum Enkel hätte! Ich wette, du wirst bestimmt bald die ›Queen‹ steuern.« Die dunklen Augen des Mannes zwinkerten Brandon an.
    Brandon lachte und machte eine abwehrende Handbewegung. »Die ›Queen‹ ist mir erst einmal eine Nummer zu groß …«
    In diesem Augenblick kam ihm ein Gedanke. »Wie lange kennst du meinen Großvater eigentlich?«
    Der Pförtner musste nicht lange nachdenken. »Dreißig Jahre. In den Sechzigern habe ich bei ihm angeheuert. Und als ich es nicht mehr geschafft habe, zur See zu fahren, da hat er mir diesen Job hier gegeben. Dein Großvater sorgt für seine Leute!«
    Vorsichtig fragte Brandon nach. »Und was ist mit den Leuten, die nicht zu ihm gehören?«
    Â»Wehe ihnen!« Der alte Mann lachte und zwinkerte wieder. »Damals war das Geschäft mit der Schifffahrt noch ein echtes Hauen und Stechen. Da bekam nicht immer der Günstigste oder der Schnellste den Auftrag – sondern oft genug der mit den härtesten Ellenbogen. Und dein Großvater hatte Ellenbogen aus Titan!« Seine Stimme klang bewundernd.
    Brandon zwang sich zu einem oberflächlichen Ton. »Hat er bis heute!«
    Er winkte dem alten Mann zum Abschied zu, überlegte noch einmal kurz, wie er wohl hieß – Glenn? Clive? – und stieg in den Aufzug. Doch statt direkt zu seinem Vater zu gehen, drückte er dieses Mal den »B«-Knopf. Ab in den Keller. Wenigstens einen einzigen Blick auf das verstaubte Archiv wollte er werfen. Wenig später betrat er den düsteren Raum.

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