Der tanzende Tod
meinem Grab. Selbst jetzt kann ich abgeschlossene Räume nicht ertragen.«
»Was ich dir nicht vorwerfen kann.«
»Warum haben wir solch schlimme Träume, wenn wir nicht auf unserer eigenen Erde schlafen?«
Diesmal zuckte sie mit den Schultern. »Ich kann es dir nicht sagen.«
»Elizabeth denkt, dass unsere Rückkehr ins Leben eine Art Kompromiss erfordert, dass wir ein Stück unseres Grabes mit uns tragen müssen als Austausch dafür, dass wir es verlassen konnten.«
»Dies klingt nach einem ebenso guten Grunde wie diejenigen, welche ich mir bisher überlegte.«
»Warum können wir durch Waffen nicht dauerhaft verletzt werden?«
»Ich bin mir nicht sicher. Unsere Wunden heilen so schnell, und für den Heilungsprozess lösen wir uns auf. Die beiden Eigenschaften sind vielleicht irgendwie miteinander verbunden.«
»Warum haben wir kein Spiegelbild?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht sind wir für Spiegel unsichtbar, auf die Weise, in der wir manchmal für Menschen unsichtbar sind, nur dass dies sich unserer bewussten Kontrolle entzieht. In manchen Teilen der Welt denkt man, dass es daran liege, dass wir unsere Seelen verloren hätten, aber ich glaube das nicht.«
Dies klang töricht. »Warum bereitet es für uns solche Unannehmlichkeiten, Gewässer zu überqueren?«
»Weil es uns von der Erde trennt?«
»Es ist nicht gerecht, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.«
»Immer noch besser, als wenn ich ständig ›ich weiß es nicht‹ zu dir sage.«
»Was weißt du denn?«
»Ich muss immer einen Vorrat an Erde mitnehmen; ich muss zu jeder Zeit auf Katastrophen wie Feuer, Überschwemmungen und Gerede vorbereitet sein; ich muss dafür sorgen, dass meine Bediensteten treu, diskret und gut bezahlt sind; ich muss stets eine Stunde vor Morgengrauen zu Hause sein ...« Ihre Liste war recht lang; und die meisten Punkte kannte ich bereits. Sie alle waren äußerst praktisch.
»Reicht dir das?«, fragte sie, als sie geendet hatte. »Es gibt noch mehr.«
»Es scheint mehr als genug zu sein.«
»Ich fürchte, es ist nicht annähernd genug. Ich kann meine Erfahrungen nicht in einer einzigen Gesprächsstunde unterbringen.«
»Ebenso wenig kann ich dir all meine Fragen an einem einzigen Abend stellen.« Natürlich lagen noch zahlreiche andere gemeinsame Abende vor uns, aber ich wollte sie mit anderen Aktivitäten als Lehrstunden verbringen. Aber dies brachte mich auf eine Idee. »Meine Liebste, du batest mich einmal, vorzugeben, es sei unsere erste Nacht, in welcher wir Blut austauschten. Ich werde dich nun um den gleichen Gefallen bitten. Hättest du mir damals alles erklärt, was hättest du gesagt?«
Sie dachte eine Weile nach. »Nun, ich hätte dich zunächst gefragt, ob du je von Nosferatu gehört hast.« Es war ein sehr fremdländisch klingendes Wort, der Intonation und dem Akzent nach zu schließen.
Unter ihrem forschenden Blick zermarterte ich mir einen Moment lang mein Hirn. »Es ist ein baltischer Seehafen, nicht wahr?«
KAPITEL 10
Sie sah mich einen Augenblick verwirrt und mit offenem Munde an und brach dann plötzlich in heftiges Gelächter aus, welches sie förmlich schüttelte. Während ich froh war, ihr einen Grund für eine solche Belustigung geliefert zu haben, war ich gleichzeitig verärgert, da ich diesen Grund nicht verstand.
»Nora ...«
Mit Mühe gelang es ihr, ihre Haltung wiederzugewinnen, aber jedes Mal, dass sie mir einen Blick zuwarf, schien sie wieder bereit, erneut herauszuplatzen. »Es tut mir Leid. Heute Nacht ist so vieles geschehen, dass ich wohl ganz ausgelassen bin.«
»Mache dir darüber keine Gedanken«, erwiderte ich trocken. »Sage mir einfach, wo sich Nosferatu befindet und was es mit dieser Angelegenheit zu tun hat.«
»Es ist ein ›Was‹, kein ›Wo‹, und es handelt sich dabei um den Namen, mit dem wir in vielen Teilen der Erde benannt werden.«
Mit finsterem Gesichtsausdruck sprach ich die unvertrauten Silben in Gedanken aus. »Dann kann ich nicht behaupten, dass ich ihn sehr mag. Es klingt wie ein schlechtes Niesen.«
Dies löste bei ihr noch mehr plötzliche Heiterkeit aus. Dieses Mal war ich zu einem gewissen Grade in der Lage einzustimmen. Als der letzte Lachanfall verklungen war, sagte sie: »Es gibt noch andere, die du vielleicht wissen solltest: upier, murony, strigon, vrykolakas, Blutsauger –«
»Warte – diesen Ausdruck hörte ich von einigen hessischen Soldaten ... er gefällt mir ebenfalls wenig – insbesondere die Art, wie sie ihn
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