Der tanzende Tod
Morgen, Mr. Dunnett. Ich bin noch spät unterwegs, wie immer.«
»Muss schwer für 'n jung' Kerl wie Sie sein, so viele Probleme beim Einschlafen zu haben.«
»Oh, am Ende finde ich doch immer Schlaf. Ist heute Nacht alles ruhig?«
»Aye, ich glaub, es is' zu kalt für die Schinderjungs. Vor 'n paar Stunden hab ich 'n halbes Dutzend von den Mohocks geseh'n. Ha'm mich erschreckt. Hatt schon Angst, die würd'n Ärger machen, aber se ließen mich in Ruhe, Gott sei Dank.«
»Ich bin froh, das zu hören.« Die Nachtwache, welche größtenteils aus unbewaffneten alten Männern bestand, war immer ein beliebtes Ziel für die Bosheit der Radaubrüder der Stadt.
»Is' 'n Haufen Dummköpfe, aber vielleicht isses zu kalt für ihre Streiche. Das is' in Or'nung für mich.«
»Gab es, abgesehen von ihnen, noch andere Besucher?«
»Hab keine geseh'n. War ziemlich ruhig heute. Wie ich schon sagte, das is' in Or'nung für mich.«
»Wie bitte, nicht einmal Straßenräuber?«, fragte ich, Überraschung vortäuschend.
»'s gibt keinen, den se ausrauben könn'«, meinte er mit einem gackernden Lachen. »Außer mir, un' ich hab nix. Un' dann noch Sie, aber ich hab gehört, dass Sie auf sich selbst aufpass'n könn'.«
»Wo haben Sie denn dies gehört? – Falls es Ihnen nichts ausmacht, dass ich frage.«
»In ›The Red Swan‹. Hab dem Wirt 'n Gefall'n getan, un' jetz' krieg ich von ihm einmal in der Nacht 'n Schlückchen Rum, wenn ich Lust drauf hab.« Aus dem Aussehen der vielen Äderchen, welche seine Nase zierten, konnte man ableiten, dass Dunnett in der Tat sehr oft Lust darauf hatte.
Ich kannte die Art seines Gefallens. Die hauptsächlichen Geschäfte von ›The Red Swan‹ gehörten nicht zu denjenigen, welche die Zustimmung des Gesetzes fanden. Laut Oliver – der selbst dort Stammgast war – hatte Mr. Dunnett den Wirt vor einer bevorstehenden Razzia durch die Hüter von Gesetz und Ordnung gewarnt, rechtzeitig, um das Etablissement vor ernsthaftem Schaden zu bewahren. Es ging die Geschichte um, dass die Gesetzeshüter das Gebäude gestürmt hatten, darauf gefasst, sich der schlimmsten Art von Widerstand auf dieser Seite des Schlachtfeldes stellen zu müssen, nur um das Gasthaus von einer Quäkergruppe besetzt vorzufinden, die eine Art Treffen veranstaltete.
Auf allen Seiten herrschte ungeheure Enttäuschung, als sie die Angelegenheit geklärt hatten – die Gesetzeshüter hatten niemanden, den sie verhaften konnten, und die Quäker waren nicht in der Lage, die Neuankömmlinge für die Teilnahme an ihrem abschließenden Gebet zu interessieren. Schließlich zogen sich beide Seiten ohne Blutvergießen vom Ort des Geschehens zurück und gingen getrennte Wege. Am nächsten Tage war ›The Red Swan‹ wieder für seinen normalen Betrieb geöffnet, aufgrund eines gut platzierten Bestechungsgeldes von Seiten des Wirtes nun frei von Belästigungen durch die Moralhüter.
Dunnett sagte: »Hatte mein Schlückchen vor nich' allzu langer Zeit un' hab 'n paar Herrn auf Ihr Wohl trinken gehört.«
Ich lächelte, auf absurde Weise befriedigt. »Ich vermute, es waren Freunde von mir oder meinem Vetter Oliver.«
»Freunde«, bestätigte er mit einem Nicken. »Ich kenn Dr. Marlin' gut. Hab ihn schon oft von seiner Kutsche zu seiner Eingangstür taumeln seh'n, wenn er 'n bisschen Spaß gehabt hatte. Hat immer 'n nettes Wort für mich, egal, wie viel er gesoffen hat.«
»Das ist Oliver, kein Zweifel. Aber Sie kannten nicht zufällig diese Herrschaften mit Namen? Wenn jemand auf mein Wohl trinkt, ist es nur recht und billig, dass ich die Höflichkeit erwidere.«
»Nich' mit Namen, nee, Sir, aber ich hab ein oder zwei von ihn' dann un' wann den Doktor besuchen seh'n. Einer war 'n hübscher, munterer Kerl mit 'nem Leberfleck, genau hier.« Mr. Dunnett deutete auf eine Stelle an seiner Nase. »Hab 'n daran erkannt, un' er is' der, der Sie in seinem Trinkspruch genannt hat. Hab'n über das Duell gesproch'n, an dem Sie beteiligt war'n, un' nannten Sie 'nen richtigen Teufelskerl, Sir. Das war'n genau seine Worte. Das war's, was ich drüber gehört hatte, dass Sie auf sich selbst aufpass'n könn'.«
Ich spürte, wie mein Gesicht rot wurde, und zwar nicht durch den Wind. »Ich kenne den Burschen«, gab ich zu. Der Leberfleck auf der Nase war der entscheidende Hinweis; es konnte nur Brinsley Bolyn gewesen sein. Seit der Nacht meines Duells mit Ridley war der junge Mr. Bolyn zu meinem hingebungsvollsten Bewunderer und Anhänger geworden.
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