Der tanzende Tod
war nach oben gegangen, aber schlief noch nicht, und der Tumult bei unserer Rückkehr veranlasste sie, wieder nach unten zu kommen. Sie musste nur einen kurzen Blick auf uns werfen, um zu erkennen, dass etwas ganz entschieden nicht in Ordnung war. Den Bediensteten, welche noch auf den Beinen waren, wurden Befehle erteilt, und als sie davonhasteten, trieb meine liebe Schwester uns vor sich her in den Salon und kümmerte sich selbst darum, das Feuer anzuzünden. Gerade als eines der Dienstmädchen ein Tablett mit hastig zusammengestellten Teezutaten hereinbrachte, erschien auch Jericho wie von Geisterhand, zog uns unsere Straßenkleidung aus und ersetzte sie durch Morgenmäntel und Pantoffeln. Ohne darum gebeten worden zu sein, schloss er den Schrank auf, in dem die Spirituosen des Haushaltes aufbewahrt wurden, und stellte die Brandyflasche auf den Tisch neben Olivers Sessel. Mit einem kaum erkennbaren Hochziehen der Augenbraue fragte er mich stumm, ob ich ebenfalls eine Portion meines eigenen, speziellen Getränkes wünschte. Ich schloss kurz die Augen und schüttelte einmal den Kopf. Ich würde mich später selbst darum kümmern. Er nickte und stellte sich neben uns, um zuzuhören. Keiner von uns hatte die Absicht, ihn fortzuschicken.
»Ihr seht schlimmer aus als Gespenster«, fuhr Elizabeth uns an. »Was ist geschehen, um alles in der Welt?«
Oliver machte den ersten Versuch, ihr eine Antwort zu geben, indem er anfänglich versuchte, unseren Ruf dadurch zu schützen, dass er Mandy Winkles Etablissement als öffentliches Badehaus ausgab – ein schöpferischer Einfall, der vor Elizabeth etwa zwei Sekunden lang Bestand hatte.
»Ich verstehe deinen Wunsch, Rücksicht auf mein Zartgefühl zu nehmen, um mich nicht zu schockieren«, meinte sie. »Aber ich würde es eher schätzen, wenn du so offen mit mir reden würdest, wie du es mit Jonathan tätest. Die Angelegenheit wird schneller erzählt sein, wenn ich nicht raten muss, worüber du in Wahrheit sprichst.«
Während Oliver errötete und heftig blinzelte, übernahm ich die Aufgabe, ihr von dem Zwischenfall zu erzählen. Natürlich ließ ich einen großen Teil aus, denn meine Episode mit Yasmin und Samar hatte eigentlich nichts mit dem Schuss zu tun. Elizabeth sah selbst sehr gespenstisch aus, als sie von dem Angriff und meinen daraus resultierenden Verletzungen erfuhr, und ließ sich nachdrücklich versichern, dass ich, obgleich erschüttert, mich im physischen Sinne größtenteils erholt hatte. Ihre Reaktion ähnelte denjenigen Olivers, da sie zu gleichen Teilen aus Angst, Erleichterung und Zorn bestand. Nachdem sie gegenüber der Welt im Allgemeinen einen Teil jeder dieser Emotionen ausgedrückt hatte, überhäufte sie uns mit den gleichen Fragen, die uns bereits selbst plagten: Wer waren die Männer, wie hatten sie mich gefunden und warum sollten sie mich ermorden wollen?
Das ›Wer‹ und potenzielle ›Warum‹ waren recht offensichtlich, aber das ›Wie‹ war schwerer zu bestimmen. In diesem Augenblick entschuldigte sich Jericho still und verließ den Raum. Als wir soeben zu dem Schluss gekommen waren, dass uns jemand von Ridleys Wohnung aus gefolgt sein müsse, kehrte er zurück, begleitet von unseren beiden Lakaien, welche beide einen übermäßig unbehaglichen und niedergeschlagenen Eindruck machten.
»Wollt'n Ihn' nix Böses, Sir«, platzte Jamie heraus, der Jüngere der beiden. »Wie sollt'n wir denn wissen, dass das keine richtigen Herr'n war'n?«
»Dies klärt die Angelegenheit vielleicht auf, Sir«, meinte Jericho, der einschritt, bevor der Junge weiter ausholen konnte.
»Kläre sie für mich auf«, erwiderte ich mit einer Handbewegung.
Kurz und bündig berichtete Jericho, dass ihm der Gedanke gekommen sei, zu überprüfen, ob die anderen Bediensteten irgendwelche Fremden bemerkt hätten, die an diesem Abend in der Nähe des Hauses herumlungerten. Dies war nicht der Fall, außer bei den beiden Lakaien, die angesichts von Elizabeths Instruktionen, wachsam zu sein, rasch eine Runde um das Haus und über das Grundstück gedreht hatten, bevor sie sich zu Bett begeben wollten.
Als sie zum Vordereingang kamen, trafen sie scheinbar zufällig auf einen sehr gut gekleideten, redegewandten Herrn, der behauptete, er benötige einen Arzt, und fragte, ob Dr. Marling zu Hause sei. Da sie sich an solche Fragen gewöhnt hatten, erschien es ihnen harmlos, dem Manne mitzuteilen, dass der Doktor an diesem Abend auswärts sei, und fügten hinzu, dass er
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