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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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das glaubte niemand, wenn er außer Hörweite war.
    Niemand sagte ihm etwas ins Gesicht. Er war groß und gesund, wollen wir nicht vergessen, und er wurde immer fleischiger und schlechter gelaunt, während wir übrigen uns in
dösige Vogelscheuchen verwandelten.
    Aber jetzt, da die Russen unterwegs waren, schien George mit den Nerven fertig. »Komm, wir hauen nach Prag ab, Sammy. Nur du und ich, damit wir schneller vorankommen.«
    »Was zum Teufel ist los mit dir?« fragte ich. »Wir müssen vor niemandem wegrennen, George. Wir haben soeben einen Krieg gewonnen, und du benimmst dich, als hätten wir
einen verloren. Prag ist sechzig Meilen weit weg, verdammt. Die Russen werden in etwa einer Stunde hier sein, und sie schicken wahrscheinlich Lastwagen, die uns zu unseren Linien
zurückbringen. Immer mit der Ruhe, George, oder hörst du etwa Schüsse? Ich nicht.«
    »Sie werden uns erschießen, Sammy, so sicher wie die Hölle. Du siehst nicht mal aus wie ein amerikanischer Soldat. Das sind Wilde, Sammy. Komm, wir hauen ab, solang’s noch
geht.«
    Was meine Klamotten betraf, hatte er recht. Sie waren zerfetzt und fleckig und geflickt, und ich sah eher aus, als residierte ich auf der schiefen Bahn, denn wie ein amerikanischer Soldat. Aber
George sah, wie zu erwarten, noch ziemlich schick aus. Die Wachen versorgten ihn ebenso mit Essen wie mit Zigaretten, und die konnte er im Lager gegen so gut wie alles tauschen, was er wollte. Auf
diese Weise hat er sich mehrere Garnituren Klamotten zum Wechseln besorgt, und die Wachen ließen ihn ein Bügeleisen benutzen, das sie in ihrer Hütte hatten, weshalb er im Camp die
wandelnde Modebeilage war.
    Jetzt war das Spiel aus. Niemand mußte mehr mit ihm tauschen, und die Männer, die so gut für ihn gesorgt hatten, waren weg. Vielleicht hatte er deshalb Schiß und nicht vor
den Russen. »Los, wir hauen ab, Sammy«, sagte er. Er flehte mich praktisch an, mich, für den er acht Monate lang auf engstem Raum kein freundliches Wort gehabt hatte.
    »Nur zu, wenn du unbedingt willst«, sagte ich. »Du brauchst mich doch nicht um Erlaubnis zu fragen, George. Nur zu. Ich bleibe mit den Jungs hier.«
    Er regte sich nicht. »Du und ich, Sammy, wir bleiben zusammen.« Er grinste und legte mir den Arm um die Schultern.
    Ich entwand mich ihm und ging über den Gefängnishof. Alles, was wir gemeinsam hatten, war rotes Haar. Er beunruhigte mich: Ich kapierte nicht, was er damit bezweckte, daß er
plötzlich mein bester Kumpel wurde. Und George war die Art Typ, die immer was bezweckte.
    Er folgte mir über den Hof und legte mir wieder seinen dicken Arm um die Schultern. »Okay, Sammy, wir bleiben hier und warten.«
    »Was du machst, ist mir völlig wurscht.«
    »Okay, okay«, lachte er. »Ich wollte nur vorschlagen, weil wir noch etwa eine Stunde zu warten haben, können wir beide doch ein bißchen die Straße entlanggehen
und sehen, ob wir uns nicht was zu rauchen und ein paar Souvenirs besorgen können, oder? Da wir beide Deutsch sprechen, sollten wir prima zurechtkommen, du und ich.«
    Ich starb schier vor Verlangen nach einer Zigarette, und er wußte es. Ein paar Monate zuvor hatte ich bei ihm meine Handschuhe gegen zwei Zigaretten getauscht – und da war es
noch ganz schön kalt gewesen – und seitdem keine mehr geraucht. Wegen George begann ich darüber nachzudenken, wie dieser erste Lungenzug sein würde. Im nächsten Dorf,
Peterswald, zwei Meilen bergauf, mußte es Zigaretten geben.
    »Was meinst du, Sammy?«
    Ich zuckte die Achseln. »Was soll’s. Gehen wir.«
    »So ist’s recht.«
    »Wohin geht ihr?« schrie einer der Jungs auf dem Hof.
    »Wollen uns nur schnell ein bißchen umsehen«, antwortete George.
    »Sind in einer Stunde wieder da«, fügte ich hinzu.
    »Braucht ihr noch Gesellschaft?« schrie der Typ.
    George ging weiter und antwortete nicht. »Bloß keine Rudelbildung. Die vermasseln einem nur alles«, sagte er zwinkernd. »Zwei sind gerade richtig.«
    Ich sah ihn an. Er hatte ein Lächeln auf seinem Gesicht befestigt, aber ich sah trotzdem, daß er immer noch ziemliche Angst hatte.
    »Wovor hast du Angst, George?«
    »Der alte Georgie und Angst? Das wäre ja wohl noch schöner.«
    Wir mischten uns unter die lärmende Menge und begannen den sanften Aufstieg nach Peterswald.
    II.
    Manchmal, wenn ich darüber nachdenke, was in Peterswald geschehen ist, suche ich nach Entschuldigungen für mich –, ich war betrunken, ich war ein
bißchen verrückt, nachdem ich so

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