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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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heraufquälen, dachte ich. Nicht
mehr viel Zeit, um auf Zeit zu spielen. »Klar, George, das ist ein gutes Geschäft. Prima, aber was soll ich machen, während du angeblich ich bist?«
    »Fast nichts, Kleiner. Du vergißt einfach eine Zeitlang, wer du bist. Melde dich in Prag und sag ihnen, du hättest das Gedächtnis verloren. Halte sie nur lange genug hin,
bis ich wieder in den Staaten bin. Zehn Tage, Sammy –, länger nicht. Das funktioniert, Kleiner, wo wir doch beide rote Haare haben und gleich groß sind.«
    »Und was passiert, wenn sie herauskriegen, daß ich Sam Kleinhans bin?«
    »Dann bin ich in den Staaten über alle Berge. Die finden mich nie.« Er wurde ungeduldig. »Los, Sammy, sind wir im Geschäft?«
    Es war ein hirnrissiger Plan, der nie funktionieren konnte. Ich sah Sammy in die Augen und glaubte, daß er das ebenfalls wußte. Vielleicht, etwas angesoffen, dachte er, er
könnte funktionieren –, aber jetzt schien er seine Meinung zu ändern. Ich sah die Uhr auf dem Tisch an und dachte daran, wie Jerry Sullivan tot ins Lager zurückgetragen
worden war. George hatte beim Tragen geholfen, erinnerte ich mich.
    Ich dachte an die Pistole in meiner Tasche. »Fahr zur Hölle, George«, sagte ich.
    Er sah nicht überrascht aus. Er schob mir die Flasche hin. »Trink was und denk drüber nach«, sagte er gelassen. »Du machst es uns beiden doch nur schwer.« Ich
schob die Flasche zurück. »Sehr schwer«, sagte George. »Ich bin richtig scharf auf die Hundemarke, Sammy.«
    Ich bereitete mich auf einen Kampf vor, aber nichts geschah. Er war ein größerer Feigling, als ich dachte.
    George hielt mir die Uhr hin und drückte mit dem Daumen auf das Aufziehrädchen. »Hör mal, Sammy –, sie sagt die Stunden an.«
    Ich hörte das Läutwerk nicht. Draußen brach die Hölle los –, das betäubende Klirren und Donnern der Panzer, Fehlzündungen und wilder, froher Gesang, und
über allem kreischten die Akkordeons.
    »Sie sind hier!« schrie ich. Der Krieg war wirklich vorbei! Jetzt konnte ich es glauben. Ich vergaß George, Jerry, die Uhr –, alles bis auf den wunderbaren Krach.
Ich rannte ans Fenster. Große Rauch- und Staubschwaden wogten über die Mauer herüber, und es wurde gegen das Tor gehämmert. »Es ist soweit!« lachte ich.
    George riß mich vom Fenster zurück und stieß mich gegen die Wand. »Stimmt, es ist soweit!« sagte er. Sein Gesicht war schreckverzerrt. Er hielt mir eine Pistole vor
die Brust. George packte die Kette meiner Hundemarke und riß sie mit schnellem Ruck ab.
    Es entstand ein scharfes, splitterndes Geräusch, ein metallisches Stöhnen, und das Tor sprang auf. Ein Panzer stand in der Öffnung, ließ den Motor aufdröhnen, die
großen Ketten auf dem zerschmetterten Tor. George drehte sich zum Krach um, als gerade zwei russische Soldaten an Stangen vom Geschützturm herunterrutschten, die Maschinenpistolen
erhoben. Sie sahen schnell von Fenster zu Fenster und schrien etwas, was ich nicht verstand.
    »Die bringen uns um, wenn sie die Pistole sehen!« schrie ich.
    George nickte. Er schien benommen, in einem Traum. »Ja«, sagte er und warf die Pistole quer durch den Raum. Sie schlidderte über die gebleichten Fußbodenbretter und blieb
in einer dunklen Ecke liegen. »Nimm die Hände hoch, Sammy«, sagte er. Er streckte die Arme über den Kopf, kehrte mir den Rücken zu, sah zum Flur, über den die Russen
angepoltert kamen. »Ich muß mich um den Verstand gesoffen haben, Sammy. Ich war nicht bei Sinnen«, flüsterte er.
    »Klar, George –, warst du nicht.«
    »Wir müssen das zusammen durchstehen, Sammy, verstanden?«
    »Was durchstehen?« Ich ließ meine Hände, wo sie waren. »He, Russki, wo zum Teufel bist du?« rief ich.
    Die beiden Russen, knallhart aussehende Teenager, stolzierten in den Raum, ihre Maschinenpistolen im Anschlag. Keiner lächelte. »Hände hoch!« befahl einer auf deutsch.
    » Amerikaner «, sagte ich schwach und nahm die Hände hoch.
    Die beiden sahen überrascht aus und begannen sich im Flüsterton zu beraten, wobei sie uns nicht aus den Augen ließen. Zuerst sahen sie uns böse an, wurden aber, je
länger sie redeten, immer jovialer, und zum Schluß strahlten sie uns richtiggehend an. Ich glaube, sie mußten einander darüber beruhigen, daß es mit der Parteilinie in
Einklang war, nett zu Amis zu sein.
    »Es ist ein großer Tag für das Volk«, sagte der eine, der Deutsch konnte, gewichtig.
    »Ein großer Tag«, stimmte ich zu. »George, gib

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